© LITTLE ASHÉ organic friends, David Amoateng

Diversity? Just do it!

Ausgrenzung von Minderheiten, Rassismus und Diskriminierung von Schwarzen und People of Color sind Themen, denen man etwas entgegensetzen muss: Diversität! Ein Gespräch über die Idee, diese Herausforderung anzunehmen.

2018 haben Olaolu Fajembola und Tebbi Niminde-Dundadengar tebalou, den Online-Shop für Diversität im Kinderzimmer, gegründet.

Die Gründerinnen von tebalou, dem Onlineshop für Diversität im Kinderzimmer // HMBEER
© Christina Salgar

Spätestens mit der Tötung George Floyds und den darauf folgenden weltweiten Black Lives Matter-Demonstrationen ist vielen von uns bewusster geworden, dass sich in unserer Gesellschaft etwas tun muss. Gegen den vorherrschenden strukturellen Alltagsrassismus, gegen Ausgrenzungen. Doch wie?

In Deutschland haben 21,2 Mio. Menschen und somit 26 Prozent der Bevölkerung Migrationshintergründe. Bei den unter Dreijährigen liegt der Anteil bei 39 Prozent, in Städten ab 500.000 Einwohnern bei 49 Prozent. Wie ändert man die Vorurteile anderer und wird sich eigener bewusst?

Olaolu Fajembola und Tebbi Niminde-Dundadengar finden, Kinder sollten sehr früh die Möglichkeit bekommen, gesellschaftliche Vielfalt als etwas völlig Natürliches und Positives zu erleben. Deswegen gründeten sie 2018 tebalou, einen Online-Shop mit Spielwaren für Kinder in einer diversen Gesellschaft.

Hautfarbenstifte von GoVolunteer bei tebalou, dem Onlineshop für Diversität im Kinderzimmer // HMBEER
Vielfalt malen: Mit den Hautfarben-Buntstiften können Kinder sich und ihre Freunde so malen, wie sie wirklich sind. Die Erlöse fließen zu 100 Prozent in die gemeinnützigen Integrationsprojekte von GoVolunteer e.V.. hautfarben-buntstifte.de © GoVolunteer

Mit Büchern, Mal- und Bastelmaterialien, Spielzeug und Spielen. Produkte für alle Kinder, unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe, Familienkonstellation oder Religion. Der kleine Begriff Vielfalt umfasst ein irre großes Spektrum. Für unser Interview treffen wir Tebbi alleine, Olaolu kann wegen coronabedingter Vorsichtsmaßnahmen in der Familie nicht dabei sein.

Wie habt ihr zwei euch gefunden?

Es war klar, dass wir uns irgendwann treffen werden, weil wir ganz viele gemeinsame Bekannte und Freunde haben. Ich hatte schon ganz viel von ihr gehört, sie selber aber nie getroffen. Irgendwann saß ich in ihrem Wohnzimmer. Zwei Stunden haben wir gequatscht, gequatscht, gequatscht.

Alle anderen im Raum waren vergessen. Als wir beim Rausgehen die Schuhe anzogen, meinte ich, dass ich gerne einen Online-Shop hätte, in dem es all die Sachen gibt, die ich andauernd verzweifelt suche für unsere Kinder. Ihre Antwort war: „Ich auch!“. An dem Abend haben wir es per Handschlag im Türrahmen beschlossen.

Wann seid ihr tatsächlich gestartet?

Es waren einfach noch ganz viele andere Sachen in unserem Leben los. Ich steckte noch im Vollzeit-Psychologie-Studium und gleichzeitig hatte ich die drei Kinder zu Hause; Olaolu ist Kulturwissenschaftlerin und leitete vorher verschiedene Kulturprojekte in Berlin, zuletzt war sie auch für den Afrika-Hub der Berlinale tätig. Aber ein Jahr später fingen wir an, ein Gründerinnenseminar zu belegen und schrieben unseren Businessplan. 2018 starteten wir.

Die Psychologin und die Kulturwissenschaftlerin setzen auf ein konstruktives und positives Umdenken: Mehr als 1.000 Artikel gibt es dafür im Sortiment, anfänglich waren es 200.

Es geht uns um die Narrative. Das sieht man gut bei Tiergeschichten, wenn Vergleiche gezogen werden. Für uns fühlt es sich so an, als wenn es in den Bereich der Rassentheorie hineingelangt: Wir sind quasi als Menschen so verschieden wie eine Giraffe und eine Maus, und es ist eigentlich ein Wunder, dass wir zusammenkommen.

Umso wichtiger ist es, genau zu kuratieren? Ja. Wir treffen eine starke Vorauswahl, weil wir oft erleben, dass das Cover sehr vielfältig ist, doch beim Blick ins Buch ist da dann nichts mehr mit Vielfalt. Diversity Make-up nennen wir das.

Dabei ist es ja kein großer Aufwand, die Zeichnungen müssen ohnehin gemacht werden. Warum können diese dann nicht auch divers gestaltet werden? Wir geben den Verlagen Rückmeldungen, was wir schwierig finden. Es ist wichtig, dass die Verlage uns langsam sehen und uns um Rat fragen. Und das tun sie.

Als wir anfingen mit dem Shop, wurden wir zunächst nicht richtig ernst genommen. Durch die Auszeichnung von der Bundesregierung (als Kreativpiloten, Anm. der Red.) hat sich ganz viel geändert.

Tebbi, wie bist du aufgewachsen?

Ich kam mit vier Jahren aus Botswana nach Deutschland. Ich sprach kein Deutsch, hatte in einem ganz anderen Kontext gelebt. Ich glaube, es war auch nicht alles schrecklich, aber schon schwierig als Schwarzes Mädchen in den Achtzigern in Delmenhorst. Meine Eltern sind mit dem Auszug ihres jüngsten Sohnes wieder zurückgegangen.

In meiner Kindergartenzeit wurde das Spiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ gespielt. Damals gab es noch keine Sprache dafür, keine Vokabeln. Ich konnte nur sagen, irgendetwas stimmt nicht damit, es fühlte sich nicht gut an. Aber solche Sachen wurden nie ausgesprochen oder thematisiert.

Erst im Nachgang habe ich Vieles erkannt. Uns wurde zum Beispiel regelmäßig von fremden Leuten in die Haare gefasst. Ich fand es schrecklich übergriffig. Ich konnte all das erst im Teenageralter abstrahieren, was da los war, wenn ich mit meinem Bruder in einen Laden ging, und uns die Verkäufer auf Schritt und Tritt verfolgten.

Oder wie unterschiedlich die Erlebnisse waren, wenn ich mit meiner Schwarzen Mutter unterwegs war oder dem weißen Vater. Ich war total angepasst und habe immer versucht, besonders artig zu sein und alles besonders toll zu machen, weil ich ja schon merkte, es war immer ein bestimmter Blick auf mich gerichtet.

Diversität im Kinderzimmer: LITTLE ASHÉ organic friends Puppen // HIMBEER
Freunde in allen Farben: Die Produkte, die man im Online-Shop tebalou findet, sind sorgfältig ausgesucht und zumeist ebenso sorgsam hergestellt. So wie die plastikfrei aus Biostoffen hergestellten Puppen des Hamburger David Amoateng. Der Afrodeutsche war solange vergeblich auf der Suche nach schönen diversen und nachhaltigen Puppen für seine Nichte, bis er einfach sein eigenes Label LITTLE ASHÉ organic friends gründete. littleashe.com © LITTLE ASHÉ organic friends, David Amoateng

Als ich nach dem Abitur die ersten Bücher in den Händen hatte „Farbe bekennen“ von Audre Lorde, May Ayim oder im Studium die erste Vorlesungen von Grada Kilomba hörte. Die Literatur dieser Frauen hat unheimlich viel mit mir gemacht.

Auch als aufgeschlossener Mensch kann man noch eine Menge lernen, nicht wahr? Es gehört ins Bildungssystem. Ins Fach Gesellschaftskunde. Es ist ein Alltagsthema, das im Schulwesen komplett ausgeklammert wird. Es gibt viele Kinder, die ausgeschlossen und ausgegrenzt werden. Dabei haben wir in Deutschland Inklusion im Gesetzbuch stehen.

Ich fände es wichtig, auch für meine drei Kinder, wenn wir alle mit Menschen mit Behinderung noch mehr in Kontakt stehen würden. Aber auch in den Medien sind sie oft nicht sichtbar. Nun haben wir dadurch, dass wir individuell auf Social Media-Kanälen wählen können, auch die Möglichkeit, behinderten AktivistInnen zu folgen und zuzuhören.

Wir kennen auch Leute, die sind Schwarz, Sinti und haben ein behindertes Kind: Es gibt viele Intersektionen, wo Menschen mehrere Dinge in sich tragen. Wir wollen niemanden ausschließen. Einelternfamilien sind eigentlich fast Standard in Deutschland.

„Wir hatten beide den Wunsch, Empowerment-Arbeit zu machen. Mit dem Fokus auf positive Veränderung.“

Wir haben uns über Jahrzehnte nicht mit Kinderbuch-Literatur explizit auseinandergesetzt, weil wir als junge, ungebundene Frauen mit anderen Dingen beschäftigt waren. Aber zu sehen, dass sich in 30 Jahren nichts oder nur sehr wenig geändert hat, ist frustrierend. Und unsere Kinder machen immer noch die gleichen Rassismus-Erfahrungen, die wir gemacht haben. Jetzt ist es höchste Zeit, dass sich etwas ändert. Es braucht gut gebildete Kinder.

Unser Ansatz ist natürlich eher die Freizeit-Literatur und die für die Jüngsten. Dinge sollten intersektionaler gedacht werden: Heute wird ein Buch für behinderte Kinder gemacht, morgen eins für schwarze Kinder. Das sollte verwoben werden und als Normalität immer da sein.

Bücher vom Zuckersüß Verlag bei tebalou, dem Onlineshop für Diversität im Kinderzimmer // HMBEER
Erlesene Vielseitigkeit: Der kleine, 2019 gegründete Berliner Zuckersüß Verlag bringt toll illustrierte und unterhaltsam geschriebene Kinderbücher heraus, die Selbstliebe, Körperbilder, Geschlechterrollen, Antirassismus und Diversität thematisieren und zeigen, wie bunt die Gesellschaft ist. zuckersuessverlag.de © Inka Englisch

Bei der Geschichte, wie Karlchen aufs Töpfchen gehen lernt, kann Karlchen eine Behinderung haben. Und einen Schwarzen Vater. So sieht unsere Gesellschaft ja auch aus. Darum würden wir uns wünschen, dass wir diese Aufteilung gar nicht mehr bräuchten, sondern ein Buch, das für mehrere Bereiche passt. Im Moment gibt es nur ein Entweder Oder.

Was fehlt noch auf dem Markt, um von wirklicher Diversität sprechen zu können? Was wir viel zu wenig sehen, sind unverfängliche und normale Darstellungen von muslimischen Kindern. Und das verwundert uns doch sehr, weil wir eine riesige muslimische Gemeinde in Deutschland haben, eine sehr diverse muslimische Gemeinde. Diese Kinder tauchen aber in Büchern nicht auf.

Auch Kinder mit türkischem Background fehlen, das ist ja auch wirklich eine der größten Gruppen. Es gibt natürlich Bücher oder Geschichten. Dann ist da auch ein Murat mit dabei. Aber es ist eine bestimmte Lebenserfahrung, die diese Kinder haben, die sich gar nicht widerspiegelt. Wir können uns nicht vorstellen, dass es keine Kinderbuch-Autorinnen mit türkischem Background in Deutschland gibt. Das ist verrückt! Es fehlt total, weil wir diese Kinder in unserer Nachbarschaft um uns herum haben.

„Für uns ist wichtig, dass sich die Gesellschaft in Kinderbüchern widerspiegelt.“

Auch asiatisch-deutsche Menschen sind im deutschen Kontext unsichtbar. Und bei Behinderungen ist es oft so, dass der Klassiker der Rollstuhl ist. Sonst gibt es insgesamt wenig, was sehr schade ist, weil da so viel Verschiedenes möglich wäre. Für diese Kinder wäre es auch so wichtig.

Ich wünsche mir, dass unsere Kinder über andere Lebensrealitäten lesen können. Es muss jemandem, der mit türkischem Background in dritter, vierter Generation in Deutschland lebt, endlich mal gesagt werden. Es hat ihnen aber auch noch nie jemand gesagt: Du gehörst dazu. Das passiert aber nicht. So bleiben sie immer immer ein Stück „Die Anderen“.

Wie arbeitet ihr mit dem KIMI-Siegel für vielfältige Bücher zusammen?

Der Aktivist Raul Krauthausen und die Journalistin Suse Bauer haben über Vielfalt in Kinderbüchern auf der re:publica gesprochen. Die riesige Resonanz brachte sie auf die Idee, ein Kinderbuch-Festival zu machen. Um es nachhaltiger zu gestalten, gründeten sie 2019 das KIMI-Siegel. Seitdem sind wir bei ihnen beratend und koordinierend mit im Team, natürlich ehrenamtlich.

Im Jahr 2020 wurden 150 Bücher von 2019 ausgezeichnet. Seitdem gelten wir von tebalou umso mehr als ExpertInnen. Wir machen Beratungsarbeit für frühkindliche Bildungsarbeit. Oder berieten Redakteure von Kika, die für die Programmgestaltung Hilfe suchten. Kitas bestellen bei uns und Grundschulen Materialien für den Hort. Hier ist der Querschnitt der Gesellschaft beieinander.

Es ist kein Wohlfühlthema, sondern ein gesellschaftspolitisches Thema. Im Wohnzimmer angefangen zu haben, mit überschaubarem Budget, Schritt für Schritt, war sehr viel Arbeit, aber die Entscheidung war genau richtig. Das merkt man am Feedback. Man spürt, dass die Leute dafür bereit sind. Dass wir beide uns getroffen haben, das war kein Zufall. Das war Schicksal.

tebalou der Onlineshop für Diversität im Kinderzimmer: tebalou.shop

Gib mir mal die Hautfarbe

Offen, persönlich und durchaus verständnisvoll für Rassismusfallen im Alltag zeigen Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar in ihrem Buch „Gib mir mal die Hautfarbe“ was zählt, um Rassismen im Kopf von Kindern gar nicht erst entstehen zu lassen.

Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar Kinderbuch über Rassismusfallen // HIMBEER
© Beltz Verlag

Olaolu Fajembola/Tebogo Nimindé-Dundadengar: Gib mir mal die Hautfarbe: Mit Kindern über Rassismus sprechen, TaschenbuchBeltz Verlag, 08/2021, 17 Euro, bei eurem Lieblingsbuchladen vor Ort, bei tebalou, bei genialokal*, dem Onlinehandel der Buchhandlungen, oder bei Amazon* bestellbar

Leseprobe

Unsere Empfehlungen und Lesetipps

Weitere Medientipps für Familien

Produktempfehlungen und Buchvorstellungen werden rein redaktionell und unabhängig ausgewählt. Dieser Artikel enthält sogenannte (mit * gekennzeichnete) Affiliate-Links – mehr Infos dazu hier.

Erlesene Vielfalt – Diversität im Kinderbuch

Großartige Bücher für die Kleinsten

So groß