Einen echten Naturindianer haut nichts um

Mit Streifzügen durch die Natur vermittelt Häuptling "Grauer Wolf" seinem Stamm nachhaltiges Denken und Handeln.

Häuptling „Grauer Wolf“ streift mit seinen kleinen Kriegern durch den Wald. Sie suchen nach Spuren. Vielleicht dort im Gras? Nein. Aber an der Baumrinde sind Kratzer. Nicht weit davon liegt ein frisch abgebrochener Ast und auf dem weichen Waldboden sind in gleichmäßigen Abständen runde Abdrücke zu erkennen. „Das sind die Tatzen von einem Fuchs“, sagt der Häuptling, der keine weißen Federn auf seinem Kopf trägt. Pfeil und Bogen? Fehlanzeige. Er hat auch keine Kriegsbemalung. Seine Krieger sehen ebenfalls sehr harmlos aus. Sie lachen und kichern, als sie braune Kugeln auf dem Boden finden und diese mit ihren Händen verformen. „Was ist das?“, fragt ein Junge. „Grauer Wolf“ zeigt auf eine Weide mit Pferden direkt neben dem Wald. „Buahhh! Das sind Pferdeäpfel“, schreien die Kinder auf. Doch der Schreck legt sich schnell. Denn Pferdeäpfel können echte „Naturindianer“ nicht umhauen.

Die „Naturindianer“ sind eine besondere Gemeinschaft, ihre Mitglieder leben in München und Umgebung. Sind sie nicht im Freien, halten sie sich in klassischen Tipis, aber auch in modernen Häusern aus Stein und Holz auf. Ihr Häuptling „Grauer Wolf“ heißt mit weltlichem Namen Oliver Fritsch. Er hat die „Naturindianer“ vor zwölf Jahren gegründet. Sein Stamm wächst und wächst, ist besonders bei Kindern und Jugendlichen beliebt und angesagt.

„Unsere Feriencamps kommen ganz gut an“, sagt Fritsch. „Denn bei uns kann man in die Natur eintauchen. In ihr und mit ihr leben. Wie echte Indianer.“ Also Feuer machen, Werkzeuge bauen, Fische fangen, schnitzen, kochen, den Wald entdecken und erforschen, singen und tanzen. „Die Kinder in den Großstädten verlieren immer mehr den Bezug zur Natur und sich selbst, da sie nur noch konsumieren und sich in virtuellen Welten bewegen“, meint Fritsch. „Bei uns gestalten die kleinen Indianer das Programm größtenteils selbst, übernehmen Aufgaben und Verantwortung. Sie gewinnen ein ganz neues Bewusstsein – zu sich selbst und ihrer Außenwelt.“

Auf zwölf Standorte verteilen sich die „Naturindianer“ im Raum München. So haben sie beispielsweise ein Lager beim Heidehaus in Fröttmaning, ein Tipi in den Isarauen von München sowie ein Wildniscamp im Voralpenland bei Wolfratshausen. Neben den Feriencamps gehören zwei Naturhorte in Haidhausen und Untergiesing sowie ein Naturkindergarten in Vaterstetten zur Anhängerschaft, die allesamt nach dem BNE-Konzept arbeiten. Das heißt: „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, erklärt Fritsch. „Wir möchten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen nachhaltiges Denken und Handeln vermitteln. Denn das versetzt den Menschen in die Lage, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen und dabei abzuschätzen, wie sich das eigene Handeln auf künftige Generationen und das eigene Leben auswirkt.“

Fritsch ist eigentlich studierter Geograf. Doch nach seinem Studium und einem kurzen Intermezzo als Wetterfrosch merkt er schnell, dass er eine andere Herausforderung in seinem Leben braucht. Er kommt aus Schwandorf, einer kleinen Stadt in der Oberpfalz. Dort tobte er mit seinen Freunden durch die Natur, kroch durch alte Bunker, spielte Fußball und las unermüdlich die Geschichten von Karl May. Winnetou und Karl-Heinz Rummenigge waren damals seine großen Helden. Und so kam es, wie es fast schon kommen musste: Olly Fritsch entscheidet sich für eine Fortbildung zum Naturerlebnis-Pädagogen, gründet die Naturindianer und betreut vor allem in den Ferien Kindergruppen.

Aus dem Ein-Mann-Betrieb ist mittlerweile ein großer Indianerstamm mit 22 Angestellten und 35 freien Mitarbeitern geworden, die sich in den bereits genannten Einrichtungen, an Schulen und bei den Feriencamps um über 1200 Kinder und Jugendliche im Jahr kümmern. Es bestehen auch Kooperationen mit ökologischen Bildungszentren und pädagogischen Farmen. Fritsch bietet auch für Geburtstage, Hochzeiten und Firmen spezielle Kinderbetreuung an. „Uschi Uhu“, seine Frau, kümmert sich dabei um die Verwaltung und das Indianer-Büro. Sein Sohn Fynn (9), genannt „Kleiner Tiger“, gibt seinem Papa immer wieder gute Tipps und probiert neue Spielideen für die Indianer aus. „Nur an Feiertagen sind wir nicht im Einsatz“, sagt Fritsch. „Da sollten Eltern und Kinder miteinander spielen und Zeit verbringen. Das kommt in unserer Gesellschaft leider oft viel zu kurz.“

In den Ferien starten jede Woche Camps, die jeweils von 8 Uhr bis 17 Uhr von Montag bis Freitag laufen. Am letzten Tag feiern die kleinen Indianer ein Abschiedsfest, bei dem sie ihren Eltern zeigen, was sie gelernt und gemacht haben. Die Gruppen bestehen meist aus 30 Indianern und fünf Pädagogen. Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen werden gesondert unterstützt. „Wir sind bei jedem Wetter draußen, spielen und toben herum. Das ist ganz wichtig“, meint Fritsch und betont: „Daneben erfahren die Kinder aber auch etwas über ausgewogene Ernährung, Umweltschutz, die Kraft des Wassers, Bio-Landwirtschaft, Kräuterkunde und traditionelles Handwerk. Die Themen variieren von Camp zu Camp.“

Und sie lernen auch etwas über Pferdeäpfel. Denn nach dem ersten Schreck, haben die Naturindianer festgestellt, dass die braunen Kugeln gar nicht so stinken und aus viel Gras und Heu bestehen. Sie haben mit Erde und Laub kurzerhand Dünger daraus gemacht, diesen in Plastiktüten verpackt und schließlich an ihre Eltern verkauft. Natur macht eben erfinderisch!

Weitere Infos unter: www.naturindianer-kids.de

Text: Sebastian Schulke