„Ich habe immer Lampenfieber“

STADTGESTALTEN München – Andrea Gronemeyer übernimmt ab Herbst die Intendanz an der Schauburg. Im Interview mit HIMBEER spricht sie über Heimatgefühle, junges Publikum, Ängste und poetische Kräfte.

Frau Gronemeyer, haben Sie sich in München bereits eingelebt?
Ich bin im Juli von Mannheim nach München gezogen und wohne in einem sehr lebendigen, schönen und kinderreichen
Viertel – in Giesing. Da fühle ich mich bereits sehr wohl. Und auch in der Schauburg werde ich nicht lange brauchen, um mich heimisch zu
fühlen. München ist für mich ein Sehnsuchtsort, der etwas ganz Besonderes ausstrahlt.

Warum Sehnsuchtsort?
Da muss ich etwas in der Geschichte kramen. Gegründet wurde das Theater 1953 von Siegfried Jobst und seiner Frau Annemarie als „Münchner Märchenbühne“. 1968 übernahm die Stadt München das inzwischen in „Theater der Jugend“ umbenannte Haus, das weit über die deutschen Grenzen hinaus einen sehr guten Ruf genoss und genießt. Nach meinem Studium 1985 wollte ich mir davon selbst ein Bild machen.

Sie reisten nach München…
Genau. Ich befand mich noch auf der Suche, hatte Theaterwissenschaften und Germanistik in Köln studiert und wollte Regisseurin werden. Ich fuhr also nach München. Jürgen Flügge war damals Intendant und veranstaltete das Festival „Schau Spiele“. Grandios wie er den Kindern die poetische Kraft des Theaters vermittelte, sie ernst nahm. Genau das wollte ich auch. Da fing ich Feuer, wollte für junges Theaterpublikum arbeiten.

Am 20. Oktober wird Ihre erste Spielzeit in der Schauburg mit dem Ensemblestück „Gips oder Wie ich an einem einzigen Tag die Welt reparierte“ für Kinder ab zwölf Jahren eröffnet. Sind sie aufgeregt?
Oh ja! Lampenfieber habe ich immer, bei jeder Premiere. Doch das ist ein sehr schönes Gefühl. Wie bei einem Kind, das am Heiligen Abend vor dem Weihnachtsbaum steht und nicht weiß, was sich hinter dem Geschenkpapier versteckt. Ich empfinde eine große Vorfreude. Auch wenn sich in München vereinzelt
kritische Stimmen bemerkbar machen, die sich Sorgen machen, weil wir in der Schauburg nicht nur Jugendtheater, sondern auch mehr
Kindertheater machen, darunter auch Inszenierungen für Kinder im Vorschulalter.

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Sie bieten Theaterstücke für Kinder ab zwei Jahren an …
Darunter können sich manche nichts vorstellen, weil sie denken, dass es kein anderes Theater gibt als literarisches und narratives. Doch in der ganzen Welt beschäftigen sich inzwischen Künstler mit den allerkleinsten Zuschauern und haben ein sehr feines Gespür dafür, wie man diese mit sinnlichen Performances aus den Bereichen Musik-, Tanz- und Figurentheater erreicht und dabei auch die Eltern begeistert. Genährt werden die Vorurteile gegenüber dem Theater für die Allerkleinsten auch von einem verbreiteten Klischee in unserer Gesellschaft: „Kinder sind dafür noch zu klein, verstehen keine Kunst“, heißt es. Doch da machen wir ganz andere Erfahrungen. Kinder sind oft viel neugieriger als Erwachsene, verstehen und sehen viel mehr, lassen sich mitreißen und sind offen für neue Dinge. Und so bewegen sich unsere Aufführungen künstlerisch auf einem sehr guten Niveau. Die Schauburg ist ein Theater für junges Publikum, ein Ort der Begegnung, des Austausches und des Miteinanders – und der Partizipation.

Wie das?
Die Umbauarbeiten laufen noch. Im Untergeschoss wird es die „Kleine Burg“ geben. Eine barrierefreie Spielstätte, die Theater zum Anfassen ermöglicht. Die Schauspieler begegnen dem Publikum da auf Augenhöhe. Der alte Saal wird „Große Burg“ heißen, gibt den perfekten Rahmen für größere Inszenierungen, Premieren und Uraufführungen. Und oben im Dachgeschoss eröffnet das Schauburg LAB – ein Raum, in dem jeder seiner Kreativität
freien Lauf lassen und selbst aktiv werden kann. In Form von Workshops und Experimenten. Ins LAB sind alle von drei bis 21 Jahren eingeladen. Musik, Tanz, Performance und Schreiben lauten dort die Schwerpunkte.

Wann kamen Sie mit Kunst und Theater in Berührung?
Ich bin im Emsland geboren, in einem kleinen Dorf namens Sögel. Meine ältere Schwester ist Journalistin, das fand ich als junges Mädchen ganz toll. Außerdem war ich begeistert von der Wilhelmshavener Landesbühne. Neben der Schülerzeitung durfte ich
mit 15 Jahren Rezensionen für die Lokalzeitung schreiben. So fing alles an.

Nun sind Sie Intendantin an der Schauburg in München. Mit was für einem Ziel vor Augen?
Ich mache schon seit über 30 Jahren Theater. Ich habe das Kinder- und Jugendtheater Comedia in Köln geleitet, war künstlerische Leiterin vom Schnawwl am Nationaltheater Mannheim und später dort auch Intendantin des Jungen Nationaltheaters. Für mich war und ist immer das Wichtigste, dass ich mit meinem Ensemble vor allem das junge Publikum erreiche. Die Kinder und Jugendlichen haben ebenso wie die Erwachsenen Fragen an die Welt – und wir wollen ihnen Raum und Antworten darauf geben. Sie
mit unseren Vorführungen und Workshops herausfordern und
ermutigen. Denn die Theaterwelt kann für jeden Menschen ein wunderbarer Frei- und Spielraum sein: Eine Schule des Lebens, ein Spiegel der Seele, ein Fenster zur Welt.

Weitere Infos: www.schauburg.net

Text: Sebastian Schulke
Fotos: Fabian Frinzel und Christian Kleiner