Mehr als Schäfchen zählen

STADTGESTALTEN MÜNCHEN – Die Schäferin Eva Mittermaier ist mit ihren Tieren fast das ganze Jahr über auf Wanderschaft. Mit dem Verein Spielkultur können Kinder den Schafen ganz nahe kommen.

Sie ist noch etwas wackelig auf den Beinen, trotzdem stakst die kleine Ziege schon munter durchs Stroh. Erst in der vorangegangenen Nacht war die Geburt, Ziegen-Mama Heidi hat Zwillinge bekommen. Zusammen mit ungefähr 20 anderen Schafen und Ziegen steht sie zum Ausruhen im Stall der Wanderschäferin Eva Mittermaier in München Zamdorf. Sie kontrolliert mehrmals täglich, ob mit dem Nachwuchs alles in Ordnung ist, bevor die Kleinen mit der großen Herde auf Wanderschaft gehen dürfen. Seit sieben Jahren betreiben Eva und ihr Mann Hannes hauptberuflich eine Schäferei und treiben ihre 400 Schafe quer durchs Münchner Umland.

Während des Winters führt sie ihre Tour bis nach Bad Aibling, im Sommer ist der Großteil der Herde im Englischen Garten untergebracht, weitere 200 Tiere grasen in Neubiberg. Zu dieser Zeit bewirtschaften die Bauern ihre Wiesen und Felder selbst und die Mittermaiers brauchen anderen Weidegrund für ihre Tiere. Die Stadt München sei froh, wenn sie die großen Flächen im Englischen Garten nicht mähen muss, so Mittermaier. „Und düngen tun die Schafe auch noch voll automatisch.“ Ansonsten passiere in ihrem Betrieb aber nichts von selbst. Schafe zu haben bedeute vor allem eines: viel Arbeit. „Man darf da keine zu romantischen Vorstellungen haben. Man muss die Schafe nicht nur hüten, wenn die Sonne scheint, sondern 365 Tage im Jahr.“ Längere Reisen oder einfach mal ein Tag Urlaub sind da nicht drin, einer der Beiden muss immer auf Abruf zur Verfügung stehen.

„Das ist ein Kreislauf: Wir ziehen die Schafe auf, sie werden bei uns auf natürliche Weise groß gezogen und später verkaufen wir sie. Das ist unser Einkommen, deshalb arbeiten wir jeden Tag.“ Die viele Arbeit nimmt die Familie aber insgesamt ziemlich locker hin. Hannes hat die Schäferei selbst aufgebaut, Eva ist auf einem Hof aufgewachsen und gelernte Landwirtin. Die Liebe zu den Tieren ist ihr also in die Wiege gelegt – und auch wiederum ihren Kindern. „Die haben ein total natürliches Verhältnis zu den Tieren. Sie kennen es ja nicht anders.“

Und so klettert ihre fünfjährige Tochter Annabelle über das Absperrgatter und begrüßt den neuen Zuwachs in der Herde mit ausgiebigen Streicheleinheiten. Eva Mittermaier kontrolliert währenddessen weiter die Muttertiere. „Man muss als Schäfer ein Gespür für seine Tiere haben, vor allem wenn die Herde ständig wandert.“ Nur so könne man Erkrankungen wie Blähungen oder Euterentzündungen frühzeitig erkennen und behandeln. Im Laufe der Zeit habe sie sich viel tierärztliches Wissen angeeignet. „Im Zweifelsfall rufe ich aber natürlich die Ärztin.“

Gefährlich für die Tiere sei vor allem Hundekot, sagt Mittermaier. Dieser könne mit Krankheitserregern behaftet sein oder Würmer übertragen. Aber auch die Fütterung sei wichtig. „Die Weiden haben ganz unterschiedliche Qualität. Der Englische Garten liefert zum Beispiel tolles Futter. Manche Plätze haben dagegen sehr armes Gras, da müssen wir zufüttern oder die Schafe weiter treiben.“

Das ist kein Spaziergang für die vierköpfige Familie. „Wir haben immer einen Wohnwagen dabei, falls einer über Nacht bei der Herde bleiben muss. Das ist natürlich komplizierter geworden seit unser Sohn in die Schule geht“, erzählt Mittermaier. „Der braucht einen ordentlichen Schlaf und Platz zum Lernen und Hausaufgaben machen.“

Und auch die Schafe brauchen Platz auf ihrem Weg durch die Stadt. Besonders auf ihrem Weg zum Englischen Garten gehört der Straßenverkehr zu den ständigen Begleitern der Familie. „In solchen Situationen sind wir mittlerweile routiniert. Einer geht voraus und der andere fährt mit dem Auto und Warnblinkanlage hinterher.“ Eva Mittermaier zählt auf die Rücksichtnahme der Autofahrer, für ausbrechende Schafe sind ihre fünf Hunde zuständig. „Die verstehen früher als jeder andere, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Es passiert weniger als man denkt.“

Trotzdem gebe es in ihrem Beruf keinen Tag wie den anderen. Morgens und abends steht Stallarbeit auf dem Programm, untertags muss die Herde versorgt werden. „Da muss ich zum Beispiel kontrollieren, ob ein fremder Hund ein Schaf aus der Umzäunung getrieben hat oder Tiere zum Lammen nach Hause in den Stall fahren.“ Im Sommer gibt es zusätzliche Aufgaben, wie die eigene Futterproduktion: Gras mähen, Heu machen, silieren.

Im Englischen Garten wartet ab dem 28. Juni das Programm der Spielkultur auf Schäfer und Herde. Unter dem Motto „Auf zu neuen Schafen“ können Schulklassen, Kindergärten oder Hortgruppen Wolle waschen, filzen und die Schafe kennenlernen. „Das ist für die Kinder ein großartiges Naturerlebnis, die lieben vor allem die Lämmchen.“ Das tut auch Tochter Annabelle, die immer noch gebannt die kleine Ziege auf dem Arm hält und beschließt: „Die soll Däumeline heißen.“

WEITERE INFORMATIONEN: WWW.SPIELKULTUR.DE

Text: Sarah Weiß / Foto: Andrea Winter