© Katerina Holmes, Pexels

Wenn aus Teenies Veggies werden

Barbara Hauer ist nicht nur Ärztin und Ernährungsexpertin, sondern auch Mutter einer Tochter, die eines Tages mit der Aussage „Ich ess ab heute kein Fleisch mehr!“ vor ihr stand. Genau diesen Satz hat Barbara zum Titel ihres Ratgebers für Eltern vegetarischer Teenager gemacht.

Liebe Barbara, stell bitte dich und deinen beruflichen Hintergrund kurz vor.

Ich bin Mutter einer 15-jährigen Tochter und eines 21-jährigen Sohnes. Seit unser Sohn vor etwa zwei Jahren ausgezogen ist, leben wir zusammen mit meinem Mann jetzt zu dritt, und zwar mitten in Berlin. In mein Berufsleben bin ich als Klinikärztin gestartet. Später war ich einige Jahre bei einer NGO tätig und habe dann noch berufsbegleitend Public Health, also Gesundheitswissenschaften, studiert. In diesem Bereich arbeite ich jetzt seit über zehn Jahren.

Wenn aus Teenies Vegetarier werden – Medizinerin und Autorin Barbara Hauer // HIMBEER
Wenn aus Teenies Vegetarier:innen werden – Medizinerin und Autorin Barbara Hauer. © Fehling, Berlin

Plötzlich vegetarisch – wenn aus Teenies Vegetarier:innen werden

Wie bist du dazu gekommen, ein Buch über das Thema zu schreiben?

Unsere Tochter hat sich mit zwölf Jahren dazu entschlossen, Vegetarierin zu werden. Wir hatten alle bis dahin – zwar in Maßen, aber doch regelmäßig und gern – und Fisch gegessen. Wie viele in dem Alter war meine Tochter damals keine Gemüseliebhaberin und auch sonst ganz schön wählerisch. Mir war klar, dass es auf Dauer keine gute Idee ist, wenn sie sich jetzt nur noch von Eierkuchen, Milchreis und Nudeln mit Tomatensauce ernährt – gerade in dieser wichtigen Wachstums- und Entwicklungsphase.

Ich liebe gute Ratgeber und dachte damals: kein Problem, zu dem Thema besorg ich mir was! Musste aber leider feststellen, dass es dazu für mich nichts Passendes gab. So entstand die Idee für das Buch.

Um herauszufinden, ob nur ich oder auch andere hier einen Bedarf sehen, habe ich eine kleine „Marktanalyse“ durchgeführt. Dazu habe ich einige Freunde und Bekannte interviewt, die mit ähnlichen „Problemen“ – sprich neu-vegetarischen Söhnen oder Töchtern – konfrontiert waren.

Allen ging es genau wie mir und sie machten sich Sorgen, ob ihr Teenager auch ausreichend mit Nährstoffen versorgt ist.

Als Ärztin und weil mich Ernährung schon immer interessiert hat, wollte ich es dann natürlich ganz genau wissen. Deshalb habe ich erst mal einen Kurs in Ernährungsmedizin absolviert. Mit dem Buch konnte ich dann alles kombinieren: meinen wissenschaftlichen und medizinischen Hintergrund, meine Leidenschaft fürs Schreiben und natürlich vor allem meine Erfahrungen als Mutter, die unvorbereitet der Herausforderung gegenüberstand, einen mäkeligen Teenager von heute auf morgen gesund und ausgewogen vegetarisch zu ernähren.

Wenn aus Teenies Vegetarier werden – Medizinerin und Autorin Barbara Hauer // HIMBEER
© Thieme Verlag

Barbara Hauer: „Ich ess ab heute kein Fleisch mehr!“ Wenn aus Teenies Veggies werden. Der Leitfaden einer Mutter und Ärztin, broschiert, 148 Seiten, TRIAS, 01/2021, 16,99 Euro. In jedem Buchladen, bei genialokal, dem Onlinehandel der Buchhandlungen und bei Amazon bestellbar

Und jetzt freue ich mich, dass ich mit dem Buch anderen Eltern dabei helfen kann, ihre vegetarischen Kinder zu unterstützen und nebenbei auch noch etwas für die eigene Gesundheit und die ihrer gesamten Familie zu tun! Ich esse übrigens auch kein Fleisch mehr, nur hin und wieder noch Fisch, mein Mann dagegen isst noch Fleisch (kommt aber gut damit klar, dass es zu Hause kaum noch welches gibt).

Beobachtest du einen Trend zu vegetarischer oder sogar veganer Ernährung, auch oder gerade bei Heranwachsenden?

Die Datenlage ist da leider etwas dünn, zumal bei Umfragen auch nicht immer einheitliche Definitionen verwendet werden. Klar ist aber, dass der Anteil vegetarisch (und auch vegan) lebender Menschen in Deutschland seit Jahren steigt, insbesondere bei jungen Frauen in Großstädten.

Laut dem Ernährungsreport 2019 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gaben in einer Telefonumfrage 11% der 14-29-jährigen an, sich vegetarisch zu ernähren. In einem Ernährungssurvey des Robert Koch-Instituts für die Jahre 2015-2017 lag der Anteil an Vegetariern im Alter von 6-11 Jahren bei 1,4% (bei Mädchen geringgradig höher als bei Jungen), im Alter von 12-17 Jahren bei den Jungs bei gut 2%, bei Mädchen etwas über 8%.

Auf die Jugendlichen bezogen entspricht das immerhin fast einer viertel Million. Gut möglich, dass es in Zeiten der Fridays for Future Bewegung zwischenzeitlich schon deutlich mehr geworden sind.

In unserem Umfeld sind viele Kinder deutlich vor dem Teenageralter zu Vegetariern geworden. Was beobachtest du, wann Kinder beginnen, sich über ihre Ernährung und die Folgen für Tiere, Umwelt und Klima Gedanken zu machen?

Meine persönlichen Erfahrungen beschränken sich im Wesentlichen auf vegetarische Jugendliche. Da Tier-, Umwelt- und Klimaschutzthemen in den letzten Jahren in der Gesellschaft, in den Familien und auch in den Schulen zunehmend thematisiert werden, ist das aber ja eine nachvollziehbare Entwicklung und auch auf die jüngeren Kinder muss man da natürlich altersentsprechend eingehen.

In Bezug auf die genannten Themen haben wir Erwachsene uns in den letzten Jahrzehnten ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Daher sehe ich die Entscheidung unserer Kinder als Chance, jetzt im Bereich Ernährung gemeinsam mit ihnen aktiv zu werden.

Auch auf politischer Ebene tut sich hier was: So adressiert der Nationale Aktionsplan der Bundesregierung zur Verbesserung des Ernährungs- und Bewegungsverhaltens in Deutschland mit der Initiative IN FORM auch ovo-lakto-vegetarisches Schulessen und hat hier in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung Qualitätskriterien formuliert. Für die konkrete Umsetzung in den Schulkantinen braucht es aber weiterhin Druck aus der Schüler:innen- und Elternschaft.

Kinder, die Vegetarier:innen werden, sind dabei manchmal ziemlich dogmatisch und verleiden anderen das Fleisch essen. Wie geht man damit um?

Schwieriges Thema. Die Gründe für den Fleischverzicht sind ja zugegebenermaßen unschlagbar und natürlich drängt es einen da, drauf los zu missionieren. Kommt aber meist nicht gut.

Ich bin immer wieder überrascht, welche defensiven Mechanismen es beim Gegenüber auslösen kann, wenn ich – anlassbezogen und undogmatisch – darüber informiere, dass meine Tochter und ich kein Fleisch mehr essen. Es gibt ja heutzutage kaum noch jemand, der sich keine Gedanken über den zu hohen Fleischverzehr macht, und offensichtlich legt man da automatisch bei vielen den Finger in eine Wunde.

Tiere sehen und erleben bei Ausflügen mit Kindern in Brandenburg // HIMBEER
Kinder sorgen sich um Tiere und Klimawandel – Vegetarier:in werden zu wollen, liegt da nahe. © Anja Ihlenfeld

Neulich bin ich darauf angesprochen worden, dass das Buchcover (Mädchen mit Ferkel auf dem Arm) einen moralisierenden Touch hätte, weil es Fleischessern ein schlechtes Gewissen machen würde – darauf wäre ich von selbst gar nicht gekommen …

Nach meiner Erfahrung würde ich die Kinder eher dazu ermuntern, sich das Missionieren zu verkneifen und dem Umfeld erstmal Zeit zu geben, sich an den:die neue:n Vegetarier:in zu gewöhnen. Statt Konfrontation ist es viel entspannter, seine Mitmenschen durch Vormachen neugierig und offen für Neues zu machen – es muss ja nicht gleich jede:r zum „Vollzeit“-Vegetarier:in werden. Außerdem setzen sich die Kids dann nicht so unter Druck und es ist keine Katastrophe, wenn zu Hause bei Freunden vielleicht doch ausnahmsweise mal ein Wiener Würstchen lockt.

Umgekehrt trifft ihre Entscheidung zum Vegetarismus im Umfeld nicht immer auf Verständnis, für viele aus der Großeltern-Generation ist eine Mahlzeit ohne Fleisch keine vollwertige. Wie kann man seine Kinder dabei unterstützen, dass ihre Haltung ernst genommen wird?

Ich glaube, hier hilft vor allem gegenseitiges Verständnis. Fleisch hat für die Generation der heutigen Großeltern einen ganz anderen Stellenwert und Gemüse wird eben nur als Beilage verstanden (meistens sind die „traditionellen“ Gemüsebeilagen für sich allein genommen ja auch nicht so richtig lecker).

Wer das Motto „Fleisch ist ein Stück Lebenskraft“ verinnerlicht hat, macht sich verständlicherweise Sorgen, dass den Enkelkindern ein wichtiger Baustein in ihrer Ernährung fehlt – gerade wenn diese beim Essen schon immer mäkelig waren. Weiter hilft auch die Einsicht, dass Menschen ihr jahrzehntelang gepflegtes Ernährungsverhalten nicht so ohne weiteres ändern wollen oder können. Das muss einfach jeder für sich selbst entscheiden.

Wenn Kinder oder Teenager Vegetarier werden – Verständnis bei den Großeltern wecken // HIMBEER
© Alex Green, Pexels

Eure Kinder unterstützt ihr vor allem dadurch, indem ihr ihnen den Rücken stärkt und selbst sachlich und (soweit eben möglich) entspannt bleibt. Falls von den Großeltern ein echtes Interesse an dem Thema besteht, sollten alle auf die Fragen gut informiert antworten können. Vielleicht würden sich besorgte Großeltern auch freuen, wenn ihr ihnen mein Buch schenkt?

Ist das Verständnis und Entgegenkommen dagegen überschaubar, können präventive „Deeskalationsstrategien“ helfen, z.B. indem ihr die gestresste Großmutter beim Sonntagsbesuch dadurch entlastet, dass ihr für euren Spross etwas Vegetarisches mitbringt und das vorher mit den Gastgebern absprecht. Zum Thema „Sonntagsbraten bei den Großeltern“ gebe ich im Buch weitere Tipps, wie sich hier alle unverkrampft annähern können.

Bei allem Verständnis, die Sorge der Eltern bleibt, dass vegetarische Kinder nicht mit allen nötigen Nährstoffen versorgt werden. Wie vermeidet man eine Mangelernährung, vor allem bei Kindern, die eh wählerisch beim Essen sind?

Meiner Meinung nach sollten Kinder, welche die geistige Reife haben, sich bewusst für den Vegetarismus zu entscheiden, auch verstehen, dass sie selbst dazu beitragen müssen, damit das funktionieren kann. Puddingvegetarismus ist keine Option, wer mit seiner Entscheidung unterstützt werden will, muss auch bereit sein, selbst die eigene Komfortzone ein Stück weit zu verlassen. Aber keine Frage, hier braucht es Geduld und Nerven, denn aus schwierigen Essern werden nicht über Nacht Vorzeige-Vegetarier!

Vegetarische Kost für Kinder und Teenager: Rohkost // HIMBEER
© Gustavo Fring, Pexels

Ein paar einfache Kniffe können bei den so genannten „picky eaters“ viel bewirken, z.B. Mahlzeiten im Picknick-Stil, das heißt jeder sucht sich aus verschiedenen Schüsseln die Zutaten nach den eigenen Vorlieben zusammen (geht gut bei Raclette, oder selbst gemachter Pizza, gefüllten Reisblättern, bunten Rohkost-Salaten).

Ratgeber: Wenn aus Teenies Vegetarier werden: Smoothies // HIMBEER
© Charlotte May, Pexels

Was uns im ersten Jahr geholfen hat waren Smoothies: Da lassen sich Obst und Gemüse sowie viele andere gesunde Sachen (Nüsse und Samen, Hagebuttenpulver etc.) raffiniert mischen. Mit ein paar (Tiefkühl-) Himbeeren erhält das Ganze eine appetitliche Farbe – Stichwort „Trojanisches Pferd“. Langsam, aber beharrlich kann man dann den Gemüseanteil ausbauen. Das hat bei uns gut funktioniert, denn mit der Zeit verändert sich auch der Geschmack. Unsere Tochter ist mittlerweile eine viel unkompliziertere Esserin geworden.

Wenn aus Teenies Vegetarier werden – Vegetarische Kost für Kinder und Teenies: Gesunde Smoothies // HIMBEER
© Alisha Mishra, Pexels

Sprecht auch mit eurer Hausärzt:in bzw. Kinder- und Jugendärzt:in, ob eine Laboruntersuchung und ggf. Nahrungsergänzungsmittel, oder bei besonders schwierigen Essern eine Ernährungsberatung sinnvoll sind. Viele Expert:innen empfehlen nicht nur für Veganer sondern auch für Vegetarier:innen eine Supplementierung mit Vitamin B12 (meine Tochter und ich benutzen Vitamin B12 haltige Zahncreme), und – zumindest in den dunklen Monaten – mit Vitamin D. Das Buch enthält Steckbriefe zu allen Vitaminen und Nährstoffen, auf die bei jungen Vegetarier:innen besonders geachtet werden sollte.

Vegetarische Kost für Kinder und Teenager: Avocados und Nüsse // HIMBEER
Wenn aus Teenies Vegetarier werden, brauchen sie in der Wachstumsphase eine besonders ausgewogene Ernährung – viele realitätsnahe und kompetente Tipps findet ihr in Barbaras Buch.© ready made, Pexels

Sofern ihr alle gut über eine bedarfsdeckende vegetarische Ernährung informiert seid und das im Alltag so gut wie möglich umsetzt, spricht aus medizinisch-wissenschaftlicher Sicht überhaupt nichts dagegen, dass sich Kinder und Jugendliche für eine vegetarische Ernährung entscheiden. Die Studienlage zeigt vielmehr, dass sich Vegetarier:innen häufig besser ernähren als der:die durchschnittliche Mischköstler:in und seltener an Zivilisationskrankheiten wie z.B. Herz-Kreislauferkrankungen und Diabetes Typ II leiden.

Welche Tipps hast du für Eltern vegetarischer Kinder, was man ihnen in die Brotdose packen kann, damit sie auch in der Schule und unterwegs mit wichtigen Nährstoffen versorgt werden?

Echte kleine Nährstoff-Powerpakete sind Nüsse aller Art (Paranüsse bitte nur einzeln, die können sehr viel Selen enthalten). Eine kleine Handvoll Nüsse zählt übrigens bei der Gemüse-Obst-Kampagne „5 am Tag“ als Obstportion.

Eine Banane oder frische Obstschnitze (Schale belassen und mit Zitronensaft beträufeln, dann werden sie nicht braun), Trauben, feste Beeren oder Trockenobst kommen auch gut an. Getrocknete Aprikosen beispielsweise sind reich an Eisen, was bei Mädchen besonders wichtig ist, um die Verluste durch die Regelblutung auszugleichen.

Vegetarische Kost für Kinder und Teenager: Brotdose // HIMBEER
© Katerina Holmes, Pexels

Und natürlich Rohkost, je nach Vorlieben und Jahreszeit und für Faulpubertiere schon in mundgerechte Stücke geschnippelt, z.B. rote Paprika, Möhren, Kohlrabi, oder ein paar Cherrytomaten. Was nicht gegessen wird, wandert am nächsten Morgen einfach in den Smoothie (außer den Tomaten).

Dazu ein belegtes Vollkorn-Sauerteig-Brot mit einer Scheibe Käse oder einem vegetarischen Brotaufstrich mit Gurken oder Radieschen – und nicht zu vergessen eine Trinkflasche mit Wasser. Und schon habt ihr für eine ausgewogene und gesunde Zwischenmahlzeit gesorgt!

Natürlich möchten wir auch gerne euer liebstes Familienrezept erfahren.

Was wir jetzt deutlich mehr essen, sind Hülsenfrüchte. Die sind ein ganz wichtiger Bestandteil einer vegetarischen Ernährung, da sie wertvolles pflanzliches Protein und viele Vitamine und Nährstoffe enthalten. Die Möglichkeiten sind hier nahezu grenzenlos, Linsen lassen sich z.B. als Pastasauce, Curry, Suppe, Brotaufstrich, Bratling oder Burger-Patties verarbeiten.

Wenn aus Teenies Vegetarier werden – Medizinerin und Autorin Barbara Hauer // HIMBEER
Lieblingsrezept von Barbara und ihrer Familie: Chili sin carne. © Thieme/Daniela Sonntag/Stephanie Türck

Wir mögen außerdem alle sehr gerne unser „Chili sin carne“ Gericht, bei dem Hackfleisch einfach durch Soja-Granulat ersetzt wird. Für Einsteiger ist das eine tolle Sache, denn es lässt sich gut auf Vorrat halten, leicht verarbeiten, ist proteinreich und zusammen mit den Kidneybohnen, Tomaten, Mais, Reibekäse, Tortillachips, Avocadodip und einem knackigen Salat oder Paprikaschnitzen unter ernährungstechnischen Gesichtspunkten eine gelungene Kombination.

Mehr Artikel zum Thema
Gesundheit

Consent Management Platform von Real Cookie Banner