Der Mann mit den 18.000 Haustieren

MÜNCHNER STADTGESTALTEN. So richtig zur Ruhe kommt Andreas Knieriem in Hellabrunn nicht. Nachtclubs, Bars und Discotheken gibt es in diesem Stadtgebiet von München zwar keine, aber dafür hört der promovierte Tierarzt in der Nacht die Kraniche und Seelöwen schreien.

Ab sechs Uhr in der Früh brausen die Putzkolonnen durch die Straßen. Und um neun Uhr schwappen schon wieder die ersten Besucherströme knapp an seiner Haustür vorbei. So geht das, tagein, tagaus – von Montag bis Sonntag, 365 Tage im Jahr.

Im Tierpark Hellabrunn ist immer etwas los. Und auch wenn ihn wohl die meisten Besucher, vor allem die kleinen, dafür beneiden, dass er Elche, Tiger, Nashörner und Eisbären als Nachbarn hat, schüttelt der Zoodirektor den Kopf. „So sehr ich den Zoo und die Tiere liebe“, sagt Dr. Knieriem, „direkt im Zoo zu wohnen, ist nicht immer so toll.“

Ohne seinen Tierpark kann er allerdings auch nicht. Seine Frau Jessica und Tochter Emily (sechs Jahre alt) würden sich ab und zu beschweren, erzählt Knieriem, „dass ich mehr Zeit mit den Tieren als mit der Familie verbringe.“ Doch die insgesamt 18.000 Tiere, unterteilt in 750 Arten und die 180 zweibeinigen Mitarbeiter beanspruchen viel Zeit – und eine gewisse Zuneigung. „München ist ein klassischer Geo-Zoo, der höchste Ansprüche verfolgt und erfüllt“, meint der 46-jährige Direktor, der mit einem Team aus Zoologen, Biologen, Veterinären und hochqualifizierten Tierpflegern zusammenarbeitet. „Mit Schau und Spektakel haben wir nichts zu tun.“

Hellabrunn bietet neben den Tierwelten aus Asien, Amerika, Australien, Europa, Afrika und der Polarwelt viel Ruhe und Natur. Aus der Vogelperspektive betrachtet, wirkt der Münchner Tierpark in den Isarauen wie ein dichter Dschungel, der von großen und kleinen Wasseradern durchzogen wird. „Wir gelten als das Venedig der Zoos in Europa“, sagt Knieriem und schmunzelt, „überall sprudelt, fließt und plätschert es, ziehen sich Brücken über Kanäle und Bäche.“ Da fühlen sich nicht nur die Besucher (1,8 Millionen/2011) wohl, sondern auch die Tiere – und natürlich ihr Direktor.

Vor 33 Jahren verliebte sich Andreas Knieriem in die Zoowelt. „Mit zwölf wollte ich noch Astronom werden“, erinnert er sich. Da lebte er mit seinen Eltern in Duisburg, blickte von seinem Zimmerfenster aus durch ein Teleskop in die sternenklare Nacht. Als er jedoch erfuhr, dass sich die Astronomie neben Sternen und Planeten besonders stark um Mathematik und Physik dreht, musste er sich nach einem neuen Beruf umschauen. Eines Tages ging sein Vater mit ihm in den Duisburger Zoo, der war nicht weit von seinem Zuhause entfernt. „Das war Liebe auf den ersten Blick“, verrät Knieriem und schmunzelt: „In Duisburg bin ich sozusagen geschlüpft.“

Der kleine Andreas bemühte sich damals gleich um eine Praktikantenstelle, schälte wenig später Möhren für das Futter, schnitt den Fisch für die Delfine oder räumte die Tierarzt-Praxis auf. Im Laufe der Zeit wurde er zu einer Art Hilfsarzt, säuberte Spritzen und medizinische Instrumente. Schließlich studierte er in Berlin Tiermedizin, promovierte und arbeitete 13 Jahre lang am Zoo in Hannover – als stellvertretender Zoologischer Leiter und leitender Tierarzt.

Bis er vor drei Jahren mit seiner Familie von Hannover nach Hellabrunn zog, um die Nachfolge von Henning Wiesner anzutreten. Warum gerade München? „Die große Herausforderung ist hier, das Naturparadies mit der Tierwelt und den modernen Ansprüchen der Besucher in Einklang zu bringen. Außerdem spielen ökologische Themen eine immer wichtigere Rolle“, meint Knieriem: „So schauen wir nicht nur auf die große Tradition Hellabrunns, sondern interessieren uns genauso für neue und nachhaltige Wege, was Tierhaltung und Tierpopulation angeht.“

Ein Erlebniszoo mit inszenierten Tierwelten wie in Hannover – mit indischem Dschungelpalast, einer afrikanischen Flusslandschaft oder dem Alaska-Themenpark – werde München niemals werden. Das passe nicht. „Wir sind ein sehr grüner, authentischer und kinderfreundlicher Tierpark“, so Knieriem. Neben der hauseigenen Zooschule, Projektwochen, Seminaren für Erwachsene und speziellen Führungen hinter die Kulissen ist vor allem der Abenteuerspielplatz bei Kindern sehr beliebt. Weitere versteckte Spiel- und Kletterecken sollen entstehen. „So entdecken die Kinder neben den verschiedenen Tierwelten, auch sich selbst, ihren eigenen Körper.“

Hat man als Zoodirektor überhaupt noch Zeit, den eigenen Tierpark zu entdecken? Knieriem lacht: „Ich gehe jeden Tag meist unbemerkt durch den Zoo, hebe Müll vom Boden auf und halte mich so auf dem Laufenden.“ Am meisten Spaß macht ihm allerdings, nachdem die Tore geschlossen und die Besucherströme draußen sind, in aller Ruhe mit Frau Jessica und Tochter Emily durch den Tierpark zu schlendern. „Die beiden sind zum Glück auch Tierliebhaber. Ich glaube, anders würde man es mit mir auch nicht aushalten.“ In Hellabrunn, tagein, tagaus – 365 Tage im Jahr.

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