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Zwischenzeit – Vom Kita- zum Schulkind

Wenn der Abschied von der Kita und die Einschulung naht, drängen sich ein paar Fragen auf, wie diese Zeit und auch die ersten Grundschuljahre gut begleitet werden können. Wir haben mit Expertin Nicola Schmidt über die neuen Erfahrungen für Kinder und Eltern gesprochen.

Die Zeit zwischen Kleinkind und Pubertät ist unendlich wertvoll! Jetzt stellen Eltern wichtige Weichen und vermitteln ihren Kindern Dinge, von denen sie ein Leben lang profitieren können.

Egal, ob Lernen, Freund:innen, Selbstständigkeit, Medien, Schlafen oder Essen – Erziehungsexpertin und Bestsellerautorin Nicola Schmidt schildert in ihrem neuen Buch „artgerecht – Das andere Schulkinder-Buch“* humorvoll, wissenschaftsbasiert und inspirierend, wie Eltern diese Lebensphase bindungsorientiert gestalten, sodass sich nicht nur Körper und Gehirn optimal entwickeln, sondern auch der Familienalltag.

Nicola Schmidt im Interview

Was ist artgerecht für kleine Menschenkinder? Im Interview mit Nicola Schmidt erhalten wir aufschlussreiche Antworten auf unseren Fragen.

Vom Kita- zum Schulkind – Interview mit artgerecht-Bestseller-Autorin und Erziehungsexpertin Nicola Schmidt Nicola Schmidt // HIMBEER
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Gleich räumt sie mit einer Illusion auf. „Das Leben mit einem Schulkind wird nicht einfacher, sondern anstrengender!“ Schulkinder sind nicht „aus dem Gröbsten raus“ nur, weil sie jetzt so gut betreut wären.

Ganz im Gegenteil. Kinder in den ersten Monaten seien noch bedürftiger, und Eltern müssten nicht weniger, sondern viel mehr und komplexere Care-Arbeit leisten. Kleinkinder, so ihre Begründung, haben sehr starke körperliche Bedürfnisse: Essen, Schlafen, Getragenwerden. Schulkinder haben sehr starke emotionale Bedürfnisse: Geld, Autonomie, herannahende Pubertät, Freunde, Lernen und das Zurechtfinden in der Welt der Medien.

„Seien wir ehrlich: Wir haben eine globale Klimakrise zu bewältigen, und das Letzte, was wir wollen, sind brave, gut funktionierende Kinder, die klaglos tun, was man ihnen sagt. Stattdessen wollen wir Kinder erziehen, die Mut und Hoffnung in sich tragen, die wissen, dass sie in sich gut sind und die sich selbst und anderen vertrauen, die es wagen, um die Ecke zu denken, und die genug in sich tragen, um es nicht im Außen kompensieren zu müssen.“

Du nennst die besondere Entwicklungs- und Übergangszeit vom Kindergarten- zum Schulkind die „Welt des Dazwischen“. Auf welche Abenteuer, Herausforderungen und Bedürfnisse können sich Eltern und Kinder einstellen?

Wir erleben ein eigenartiges Wechselbad: Unsere Kinder klammern an uns wie Dreijährige, wenn sie morgens ihr Buch nicht finden.

Vom Kita- zum Schulkind – wenn man die Kinder morgens an der Schultür verabschiedet // HIMBEER
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Und sie erklären uns wenige Stunden später die Welt mit den Worten „Davon verstehst du nichts!“. Sie haben weniger körperlich anstrengende Bedürfnisse, aber ihre emotionalen Bedürfnisse sind umso stärker. Sie sind unglaublich anhänglich und gleichzeitig total selbstbezogen, manchmal völlig empathiefrei.

Sie wollen unabhängig sein und schaffen trotzdem nicht, drei Sätze für Deutsch nachmittags alleine auf ein Blatt zu schreiben … das ist für uns Eltern nicht immer einfach!

Was sind ideale Gegebenheiten, unter denen ein Schulkind zwischen sechs und zwölf Jahren am besten lernt?

Wie immer gilt: Je weniger Druck wir machen, desto besser. Wir dürfen den Druck der Schule, den Druck der Termine nicht zwischen uns und unsere Kinder kommen lassen. Sie müssen uns vertrauen können, dass wir hinter ihnen stehen, auch wenn sie Mist gebaut haben.

Wir können sie ruhig ein bisschen hegen und pflegen, Full-Service-Parenting im ersten Jahr ist völlig okay. Wir ziehen sie morgens an, wenn sie einfach zu müde sind, wir helfen mit den Hausaufgaben, wir packen die Brotdose für sie aus.

Schulkinder bei den neuen Erfahrungen begleiten – Interview mit Expertin Nicola Schmidt // HIMBEER
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Künstliche Selbstständigkeit hilft ihnen nicht, besser ist es, gemeinsam hilfreiche Routinen einzuüben. Und alles andere hängt von den Ressourcen ab, die eine Familie hat: Wie viele Bücher haben wir zu Hause, haben wir Hobbys, Zeit für Sport, gibt es kulturelle Veranstaltungen, an denen wir teilnehmen, sind wir Teil einer Gemeinschaft, die uns unterstützt?

Wie können sich Erziehungsberechtigte an der Schwelle zur Schule vorbereiten und welche Fragestellungen helfen, um die richtige Schule zu wählen?

Die gute Nachricht: Die richtige Schule für unsere Kinder ist die Schule, in der sie von Menschen begleitet werden, die wohlwollend auf sie schauen und mit denen sie ihre Entwicklungsaufgaben bewältigen können. Das kann eine Regelschule sein, eine alternative Schulform, eine Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt, eine öffentliche oder private Schule.

Wir fragen uns also: Wo ist mein Kind gut aufgehoben? Wo gehen seine Freund:innen hin? Wenn wir die Wahl zwischen zwei Grundschulen haben – was ja oft gar nicht der Fall ist – können wir auch gleich einen Schritt weiter gehen und bei den weiterführenden Schulen fragen, wie sie diese einschätzen.

Aber am Ende kommt es laut der Hattie-Studie allein auf die Lehrperson an und wie gut ein Kind von diesem Menschen etwas lernen kann.

Worin überfordern wir unsere Kinder möglicherweise beim Eintritt in die Schule und was trauen wir unseren Kindern heute nicht (mehr) zu?

Viele Kinder sind überfordert mit den neuen Rhythmen und Ritualen, mit den vielen Terminen und Pflichten. Und gleichzeitig dürfen nur erschreckend wenige Kinder selbstständig zur Schule gehen, obwohl Kinder noch vor wenigen hundert Jahren viele Kilometer alleine zurücklegten. Wir überfordern sie oft strukturell und geben ihnen zu wenig Freiheit dort, wo es ihnen helfen würde.

Was war dein persönlicher Aha-Moment nach einigen Wochen als Schulkind-Elternteil?

Irgendwie hatte ich erwartet, dass die Schule einen großen Teil der Erziehung und Bildung meiner Kinder übernehmen würde und ich nur noch als Begleitperson dabei sein müsste. Ich dachte, ich würde hin und wieder ein nettes Wort mit hinreißenden Lehrer:innen wechseln, meinem Kind stolz beim Rechnen zusehen und alle paar Wochen mal ein besonders gelungenes Lunchpaket als Foto auf Instagram stellen.

Als mein Sohn nicht nur an den ersten Tagen, sondern plötzlich ständig früher nach Hause kam, keine Lust auf Hausaufgaben hatte und sein Ranzen in kurzer Zeit ein einziges Chaos war, wurde mir klar, dass „aus dem Gröbsten“ heraus nicht bedeutete, dass er mich jetzt nicht mehr brauchte.

Was spielt sich zu dieser bewegenden Zeit im Gehirn unserer Kinder ab?

Es hängt natürlich vom Kind ab, neurodiverse Kinder entwickeln sich anders als neurotypische. Aber grundsätzlich gilt, dass das Gehirn in dieser Zeit reift. Es baut überflüssige Verbindungen ab und neue, wichtige Verbindungen auf. Wenn unsere Kinder in diesen Jahren die richtigen Impulse bekommen, entwickeln sie ein effektives soziales Gehirn, das irgendwann auch in stressigen Situationen die angemessenen Entscheidungen trifft.

Aber das dauert! Der letzte Teil des Gehirns, der ausreift, ist während der Schulkindzeit der Frontallappen, also der Bereich, in dem das rationale und moralische Denken, Analysieren und Planen verortet wird – und die Persönlichkeit. Daran liegt es auch, dass unsere Schulkinder, die schon so schön laufen, sprechen, den Tisch decken und zur Toilette gehen können, oft einfach „nicht nachdenken“ oder Dinge „nicht zu Ende denken“. Das lernen sie erst mit der Zeit.

Vom Kita- zum Schulkind – neue Erfahrungen, Freundschaften und Herausforderungen für Kinder und Eltern // HIMBEER
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Im Alltag dauern die Denkprozesse auch manchmal ein bisschen länger als es uns lieb wäre, besonders wenn sie den Frontallappen betreffen – wir merken das, wenn sie morgens ihre Schuhe suchen und einen Nervenzusammenbruch kriegen.

Dann hat der alte, emotionsorientierte Gehirnteil übernommen, weil der neue, der logische, ruhige Teil gerade nicht zur Verfügung steht. Dann brauchen sie keinen Vortrag, sondern einen Menschen, der ihnen hilft, ruhig zu werden, die Schuhe zu finden und wieder in ihren logischen Gehirnteil zu wechseln: „Komm, wir suchen gemeinsam.“

Der Alltag mit Schulkindern ist auch für Eltern ein großer Einschnitt und unbekanntes Terrain. Welche Rituale und Strukturen helfen in dieser Zeit?

Alltag läuft ja generell einfacher, wenn er eine gewisse Struktur hat: Wir essen um eine feste Uhrzeit, wir machen zwei Mal pro Woche Sport, wir treffen die Großeltern immer am Dienstag etc. Dazu gehören auch Strukturen für Bildschirmzeiten, Hausaufgaben, Aufräumen etc.

Wenn wir in der Familie alle wissen, dass wir am Sonntag nachmittag eine Stunde lang den Haushalt machen, die Ranzen ausmisten und die nächste Woche durchsprechen, dann können sich alle darauf einstellen.

Wie können wir in Kontakt zu frisch gebackenen Schulkindern bleiben und sie bei Herausforderungen möglichst unterstützend begleiten?

Schulkinder brauchen Autonomie an vielen Stellen: Körperautonomie ist ein wichtiger Punkt, aber auch die Möglichkeit, sich zurückzuziehen, Privatsphäre zu haben. Wir bauen die Kinder oft in ein noch engeres Korsett als im Kleinkindalter durch Schule, Pflichten, Hausaufgaben, obwohl sie gerade jetzt Freiheit brauchen.

Schulkinder bei den neuen Erfahrungen begleiten – Interview mit Expertin Nicola Schmidt // HIMBEER
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„Nein“ ist jetzt wieder hoch im Kurs, aber wir bleiben besser im Gespräch mit „Okay, ich höre dich, wie stellst du es dir vor?“ Und dann sehen wir, ob es einen Kompromiss gibt oder ob wir Orientierung geben müssen. Wenn wir das nicht beachten, verlieren wir die Kinder und haben dann die Teenager:innen, die einfach „ihr Ding“ machen. Wir können jetzt wichtige Weichen stellen, damit das nicht passiert.

Schulkinder bewegen sich in völlig neuen Gemeinschaften und Autoritätsstrukturen. Worauf können wir als Eltern achten und welchen Einfluss haben wir (noch) auf die Beziehungen und Kontakte unserer Kinder?

Nicht alle Kinder finden von selbst Freund:innen. Wir können ihnen aber helfen, indem wir ihnen soziale Verhaltensweisen beibringen: Interessiere dich für andere, stelle Fragen, pflege deine Freundschaften. Wir bringen ihnen auch bei, Grenzen zu setzen und gemeinsame Interessen zu finden.

Besonders in der Schulkindzeit können Freundschaften wacklig und wechselhaft sein. Es ist eine gute Zeit für unsere Kinder, um zu lernen, wie man Konflikte löst.

Und manchmal funktionieren Freundschaften einfach nicht gut, dann können wir unsere Kinder begleiten und ihnen beibringen, wie man merkt: Was tut mir gut? Was nicht? Im Buch habe ich eine Liste, anhand derer Kinder lernen können, was eine gute Freundschaft ausmacht und wie man sich von ungesunden Freundschaften trennt. Und auch wenn andere Kinder unter unserem Kind leiden, können wir vieles tun – es ist ein Lernfeld für alle.

Können und sollen wir Grundschulkinder auf mögliche Themen wie Mobbing, Gruppendruck oder Bewertung vorbereiten und lässt sich Stress vorbeugen?

Nein, ich würde Kindern keine Angst machen – aber wenn wir merken, dass wir Gruppendruck kriegen, werden wir aktiv. Besonders von den eigenen Freund:innen in der Gruppe verraten oder lächerlich gemacht zu werden, ist massiv schädigend für die Seelen unserer Kinder, wie die Forschung zeigt. Daher sollten wir hier sofort eingreifen. Voraussetzung dafür ist ein gesundes Selbstwertgefühl unseres Kindes.

Vom Kita- zum Schulkind – neue Erfahrungen, Freundschaften und Herausforderungen für Kinder und Eltern // HIMBEER
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Es sollte wissen, dass es ein wertvoller Mensch ist und dass es seine Grenzen ziehen darf und auch muss, damit andere Menschen diese respektieren können.

Was ich persönlich einen wichtigen, ersten Schritt finde: Wir sorgen dafür, dass Chatgruppen dort bleiben, wo sie hingehören – in die Hände von Menschen, die mindestens vierzehn Jahre oder älter sind. Selbst Erwachsene sagen über Textsysteme Dinge, die sie hinterher bereuen. Whatsapp etc. gehört nicht in die Hände von Grundschüler:innen.

Wie können wir unsere Kinder in ihrer Willenskraft und persönlichen Entfalten unterstützen, auch wenn die Schule gleichzeitig strikte Regeln vorgibt?

Wir machen unserem Schulkind klar, was es alles ausmacht: seine Persönlichkeit, seine Hobbys, Dinge, für die es sich interessiert, seinen Platz in der Familie, der Natur und der Welt.

Es gibt viele Bereiche, in denen sich diese Persönlichkeit entwickeln kann: In Hobbys, zu Hause, auch in der Schule. Wir finden mit unserem Kind gemeinsam den Weg, wann es sich lohnt für sein Ich einzutreten und wann es sinnvoller ist, gruppendienlich zu spielen.

Niemand ist ja nur Ich, sondern wir sind Gruppenwesen, die auch Teil eines funktionierenden Ganzen sein wollen. Kinder lernen in dieser Zeit, dass die Ich-Bezogenheit des Kleinkindalters jetzt der Gemeinschaft weicht, in der wir uns entfalten können.

Was hat sich in den letzten Jahren im deutschen Schulsystem verändert und worauf hoffst du in der Zukunft?

Grundsätzlich gilt: Das, was wir jahrtausendelang erlebt und wie wir gelernt haben, steht in großem Gegensatz zu unserem heutigen Leben in Häusern, Städten, zu Klassenzimmern in Grundschulen, zu von erwachsenen Lehrer:innen geleiteten Gruppen, zu Zeitplänen, Medien und Musikunterricht, Autositzen und Anschnallgurten, Arztterminen und der Anforderung, „endlich mal still zu sitzen“.

Wir sind nicht dafür gemacht, in engen Räumen mit einem Haufen Gleichaltriger von einer erwachsenen Person unterrichtet zu werden. Menschenkinder haben in gemischtaltrigen Gruppen in der Natur voneinander gelernt – im Buch erzähle ich davon, wie es mal war.

Und davon ist die aktuelle Schulsituation natürlich weit weg. Aber viele Grundschulen erproben neue Lernformen, nehmen Kinder ernst und beteiligen sie, versuchen, individuell auf sie einzugehen. Wenn wir jetzt noch ausreichend Ressourcen hätten, um die Infrastruktur und die Personaldecke auf einen guten Stand zu bringen, dann wäre viel gewonnen.

Vom Kita- zum Schulkind – Interview mit artgerecht-Bestseller-Autorin und Erziehungsexpertin Nicola Schmidt Nicola Schmidt // HIMBEER
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Nicolas Bücher sind in acht Sprachen übersetzt und stehen wie „artgerecht – Das andere Schulkinder-Buch“* immer wieder auf Bestsellerlisten. Einige sind bereits echte Klassiker, darunter „artgerecht – Das andere Babybuch“* und „Erziehen ohne Schimpfen“*.

Sie hat einen Master in Sozialwissenschaften, ist ausgebildete Wissenschaftsjournalistin und Mitglied der „World Association for Infant Mental Health“ (WAIMH) sowie international gefragte Gesundheitsreferentin für die Entwicklung von Säuglingen, Kleinkindern und Schulkindern. artgerecht-projekt.de

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