© Stefan Kraul

Musikalische Gehversuche meiner Kindheit

Unsere Autorin Katinka Buddenkotte hat eine große Leidenschaft zu Musik und zwar von Kindesbeinen an. Allen Fehlschlägen beim Musizieren zum Trotz ...

Passend zu unserer Titelgeschichte über Kinder und ihre Instrumente baten wir Katinka, ihre musikalischen Kindheitserfahrungen mit uns zu teilen.

Die Bedeutung von Musik kann gar nicht überschätzt werden!

Ja, ich glaube daran, dass schon Ungeborene mit schönen Tönen beschallt werden sollten, und auch, dass jedes Kind ein Instrument erlernen sollte, weil Musizieren Menschen miteinander verbindet.

Ich verstehe, wenn Paare sich einzig aufgrund musikalischer Differenzen trennen, es lässt sich über nichts leidenschaftlicher streiten als über „gute“ und „schlechte“ Musik, wobei … Stopp: Musik an sich ist immer gut. Gerade, wenn ein Kind entdeckt, welch ein Zauber von ihr ausgehen kann, oder in meinem Fall – welch ein Schrecken.

Denn Musik war auch meine erste Liebe

Allein, sie wurde nicht erwidert, bzw. konnte ich sie nicht durch meine Macher-Qualitäten überzeugen. Obwohl schon früh alle Weichen mehr als günstig gestellt waren. Mein Vater besitzt nicht nur ein Klavier, sondern auch das absolute Gehör. Und für mich gab es nichts Faszinierenderes als meinen Papa, der irgendein neues Lied nur einmal im Radio hörte, und es Sekunden später nachklimpern konnte.

Unser Klavier wurde für mich zum Zauberkasten, den auch ich beherrschen wollte. Meine Eltern waren begeistert. Natürlich kam nur Privatunterricht in Frage, denn sie hatten aus ihren Fehlern gelernt. Aus reiner Unerfahrenheit und Leichtsinn hatte man die Freude meiner Schwester am Musizieren im Keim erstickt, indem man sie in eine kurze, aussichtslose Schlacht geschickt hatte, den schulisch organisierten Flötenkreis.

Kurzer Exkurs: Nein, es gibt auch keine guten oder schlechten Musikinstrumente.

Einzige Ausnahme bildet die Blockflöte. Sie ist teuflisch, gerade weil man sie überall mit hinnehmen kann, jeder nach Minuten erste Töne auf dem teuflischen Lochstock erzielt. Aber sobald das Kind glaubt, es beherrsche das verfluchte Gerät, beginnt die Blockflöte, ganze Familien in den Wahnsinn zu treiben. Ihr Klang ist grauenhaft, die speicheltriefenden Reiniger liegen überall verstreut, der Advent wird zur Zerreißprobe.

Weihnachtskonzerte geraten zur Folter, denn egal, wie vielstimmig das Ensemble auftritt: Man hört jeden schiefen Ton, den ein einzelnes – das eigene? – Kind auf dem hölzernen Biest produziert.

Kinder und ihre Instrumente: Flöte // HIMBEER
© Stefan Kraul

Viele Eltern denken, sie müssten durch diese Vorhölle, und hoffen, dass das Kind doch noch den Absprung auf ein anderes, richtiges Instrument schafft. Aber irgendwann ziehen viele doch die Reißleine, und verstecken das Mundstück auf dem Dachboden, wo es erst Dekaden später wieder auftaucht. Damit ist niemandem geholfen.

Kinder und ihre Instrumente: Geige | BERLIN MIT KIND
© Stefan Kraul

Sicher, auch Geige oder Trompete klingen zunächst fürchterlich, wenn sie von kleinen Händen gezupft oder mit geringem Lungenvolumen getrötet werden. Aber entweder entwickelt das Kind Ehrgeiz und Freude, und es wird besser, oder das teure Instrument geht zurück an die Musikschule, fertig! Die billige  Blockflöte wird nie besser, sondern nur böser.  Zurück aber zu dem Kind, das von der fiesen Flöte verschont blieb. und dessen Eltern ein herrliches altes Klavier ihr eigen nannten.

Eine nette Musikpädagogik-Studentin wurde auserkoren, dem Kind das Klimpern auf den Tasten beizubringen.

Das Kind klimperte. Tonleiter rauf, Tonleiter runter. Das Kind wurde wütend. Es wollte ABBA-Songs spielen, oder wenigstens etwas von Elton John. Die Lehrerin mahnte zu Geduld. Das Kind sollte erst die Noten lernen, und vor allem: das Zählen. Das Kind flippte aus, denn es ging ja schon zur Schule, und konnte sehr wohl zählen, nur offenbar: nicht im Takt.

Nach acht Unterrichtsstunden (und dem Wechsel der Klavierlehrerin) stellte sich heraus, dass das Kind das Konzentrationsvermögen eines Goldfisches und das Rhythmusgefühl eines Brötchens hatte. Nicht schlimm, dachten sich die Eltern, das Kind soll ja nicht können, sondern lernen. Das ist im Prinzip richtig und wichtig. Bloß keinen Druck aufbauen, wenn es um das Herantasten an die Tasten geht. Aber zu dem unkontrollierten Zusammenspiel von Kopf und Händen des Kindes kam, dass dessen Frustrationstoleranz gegen Null ging.

Kinder und ihre Instrumente: Klavier | BERLIN MIT KIND
© Stefan Kraul

Jedem falschen Ton folgte ein wütender Schrei, und während die Mutter der Meinung war, das Kind müsse sich da durchbeißen, war die gesamte Nachbarschaft mittlerweile anderer Meinung. Und irgendwann sprach der Vater ein Machtwort. Nein, seine Tochter solle sich auf keinen Fall mit dem Klavier quälen.

Am Ende bekäme sie noch ein gestörtes Verhältnis zur Musik selbst.

Damals nahm ich diese Entscheidung mit großer Erleichterung auf. Aber natürlich, und zum Glück, wurde ich nicht vom allgegenwärtigen Einfluss der Musik verschont. In der fünften Klasse begann allerdings zunächst mein zweites Martyrium. Zur Musiktheorie fand ich genau so wenig Zugang wie zur Vektorrechnung. Aber selbstverständlich konnte jeder, der sich im Quintenzirkel heillos verlief, im Unterricht noch punkten, und zwar im Chor. Und jeder, der mit Freude und Elan dabei ist, kann doch singen, oder?

Jedes Kind kann singen?

Fast. Jungs in der Entwicklung sind kurzzeitig vom Gesang entschuldigt, steigen aber nach ein paar Monaten mit einer gereiften Stimmlage wieder ein. Solange brummen sie halt mit, in der hintersten Reihe, kein Problem. Das Problem hieß wieder mal Katinka. Vielleicht geschah es aus einer Anwandlung uneingeschränkter Solidarität gegenüber meinen männlichen Mitschülern, jedenfalls erlitt ich den gewaltigsten, langwierigsten Stimmbruch aller Zeiten.

Ich kann bis heute nicht singen, das dafür sehr tief, und dabei keinen einzigen Ton halten. Ich durfte nicht mal mitbrummen, sondern wurde als Pantomime-Sopran eingesetzt. Mein „Dichthalten“, oder netter gesagt, meine Leistungen im Vollplayback wurde erstaunlicherweise mit einem „befriedigend“ belohnt.

Noch erstaunlicher war nur, dass ich bis heute jede einzelne Textzeile aus nahezu unbekannten Volksliedern auswendig kann, aber das wahre Wunder ist: Ich liebte die Musik immer noch. Und irgendwann ließ sich die Musik, vielleicht aufgrund meiner stummen Beharrlichkeit, auf einen kleinen Flirt, ja sogar eine heiße Affäre mit mir ein.

Als ich vierzehn wurde, entdeckte ich eine Band

Nicht so eine, die meine Schwester auf Plattencovern anschmachtete, und die vorrangig aus Haaren und engen Hosen bestand, sondern eine echte, aus Fleisch und Blut. Sie spielten in unserer Stadt, auf Festen an der Uni, in Jugendzentren und in der Fußgängerzone. Und sie spielten guten alten Rock’n‘ Roll.

Die Rolling Stones, die Kinks und die Beatles sind ja sozusagen von mir entdeckt worden, 1990, und ich war Fan mit Leib und Seele. Einmal kam ich von einem Konzert nach Hause, und meine Mutter schrie, weil sie dachte, ich sei überfallen worden. Dabei hatte ich nur getanzt. Und mir mein T-Shirt zerrissen. Dabei einen Arm gebrochen. Obwohl ich geradezu besinnungslos glücklich war, wurde ich mit Pubertät diagnostiziert, die Strafe war Konzertverbot.

Zu dieser Zeit lernte ich Musik als besten Freund und unschlagbare Waffe kennen.

Es ist ganz natürlich, dass Eltern die Musik ihrer Kinder entweder nicht direkt verstehen oder hassen, aber mit The Cure konnte man sie schier in den Wahnsinn treiben. Ich besaß alle Platten, und konnte nach nur wenigen Wochen sogar den Plattenspieler annektieren und in mein Zimmer verfrachten, besser gesagt, in meine Höhle. Inklusive Altar für Robert Smith. Als sämtliche Kleidungsstücke mit den Songtexten der Band beschriftet waren, wich ich auf meine Unterarme aus. Und als ich mir eine Tätowiernadel wünschte, wünschten sich meine Eltern nichts sehnlicher, als dass ich wieder an die frische Luft gehen würde, gerne tagsüber.

Nach harten Verhandlungen bestand ich auf: Klavierunterricht. Exakt. Mit siebzehn wollte ich mich erneut dem Zauberkasten stellen. Zwar verliebte ich mich sehr in meinen Lehrer, aber den verwirrte ich nur: Mein Talent war nur sehr einseitig gewachsen, will heißen, ich konnte einzig und allein Griegs Sonate in E-Moll schmettern, die aber trauriger als jeder andere auf der Welt. Nach einem halben Jahr behauptete mein Lehrer, er würde auswandern, ich traf ihn Monate später zufällig in der Stadt. Die Liebe zur Musik aber blieb.

Über Jahre habe ich in einer Kneipe Bands bekocht

Mein Freund lässt mich immer noch bei „Guitar Hero“ mitspielen, was mir beweist, dass er mich mehr als seine eigenen Trommelfelle liebt, sollte Geld übrig sein, investiere ich es in Konzertkarten. Und meine schönste Erinnerung wird für immer mein fünfzehnter Geburtstag bleiben, als mein Vater mich weckte, in dem er mein Lieblingsstück auf dem Klavier anstimmte, „Just like Heaven“ von, natürlich, The Cure.

In zwei Jahren wird mein Vater 70. Vielleicht versuche ich, mir die Sonate von Grieg noch einmal drauf zu bringen. Aber wahrscheinlich ist das nicht. Man sollte die Liebe niemals zu sehr herausfordern …

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