Ein eindrucksvolles Buch über das Elternsein, über die Kraft der Liebe, aber auch darüber, was unsere Identität ausmacht. Der Bestsellerautor Andrew Solomon hat mit über 300 Familien gesprochen, deren Kinder außergewöhnlich oder hochbegabt sind, die am Down-Syndrom oder an Schizophrenie leiden, Autisten, taub oder kleinwüchsig sind. Ihre Geschichten sind einzigartig, doch ihre Erfahrungen des „Andersseins“ sind universell.
Eltern sein ist meist schön, kann aber bisweilen auch ganz schön anstrengend sein. Wie aber ist es, wenn man ein außergewöhnliches Kind hat? Der New Yorker Autor Andrew Solomon ist in seinem Buch Weit vom Stamm der Frage nachgegangen, wie es sich als Eltern von Kindern mit Hochbegabung, chronischer Erkrankung oder auch Entwicklungsstörungen lebt und liebt.
In diesem Buch beschreibt er auf 976 Seiten zwölf verschiedene Arten elterlicher Liebe. Das Besondere: Die Eigenschaften und Lebensbedingungen der Kinder unterscheiden sich deutlich von denen ihrer Eltern. Die Kinder kommen aus Familien, die sich selbst als normal bezeichnen würden. So hart es klingen mag, vielen Eltern wünschen sich, dass ihr Kind so etwas wie eine Miniaturausgabe ihrer selbst wird. Nicht umsonst benutzt der Biologe den Begriff der Reproduktion. Das macht es nicht gerade einfacher, mit der Andersartigkeit des eigenen Nachwuchses umzugehen. Und wie geht eigentlich die Gesellschaft mit besonderen Kindern um?
Die erste Hälfte seines Buches beschäftigt Solomon sich mit Phänomenen, die landläufig als Krankheiten gelten, darunter Gehörlosigkeit, Down-Syndrom und auch Autismus. Wobei Autismus streng genommen keine Krankheit ist, sondern eine Entwicklungsstörung im Gehirn, wie man hier auch bei der Ratgeberseite von Netdoktor nachlesen kann.
In der zweiten Hälfte geht es um „Andersartigkeiten“, die eher als Persönlichkeitsmerkmale gesehen werden. Kriminalität, Hochintelligenz oder Homosexualität etwa. Jeder der insgesamt zehn Gruppen ist ein Kapitel gewidmet, in denen der Autor auf einfühlsame und intelligente Weise zeigt, welche Herausforderungen das Leben mit diesen außergewöhnlichen Kindern für die Eltern in sich birgt, ohne die Familien dabei vorzuführen oder der Unterhaltung zugunsten auszubeuten. Stattdessen beschreibt er die oftmals schmerzlichen, gelegentlich triumphierenden und ein andermal unerträglichen menschlichen Schicksalsgeschichten mit tiefer Menschlichkeit und scheut sich auch nicht davor, das Ganze in den zeitlichen und politischen Zusammenhang zu setzen, indem sich die vielfältigen Besonderheiten der Kinder bewegen.
Egal wie besonders und andersartig die Kindern in den einzelnen Fällen in Andrew Solomons Buch auch sind, eines ist ihnen allen gleich: die ungebrochene Liebe der Eltern zu ihren Kindern. Die Liebe und Freude, die die Kinder ihren Familien bereiten, ist für sie mit nichts aufzuwiegen und wollen sie nicht missen, selbst bei einem tragischen oder extremen Ende wie bei den Eltern eines der Amokläufer an der High-School im US-amerikanischen Columbine. Es lohnt sich auch für Eltern von „normalen“ Kindern, Solomons Buch zu lesen, denn es berührt nicht nur, sondern gibt auch einen Einblick in die eigene Liebe zum Kind und warum man am Ende jedes noch so anstrengenden Tages Denkt: Schön, dass es dich gibt.
Andrew Solomon: Weit vom Stamm. Wenn Kinder ganz anders als ihre Eltern sind | gebunden | 1104 Seiten | S. Fischer Verlag | 10/2013 | 978-3-10-070411-5 | 34 Euro | bei Amazon bestellbar oder bei eBook bestellbar.