Geburten brauchen Zeit

Die Kaiserschnittrate steigt stetig und auch andere medizinische Interventionen unter der Geburt nehmen immer weiter zu. Gleichzeitig müssen immer mehr Hebammen aufgrund der explodierenden Haftpflichtversicherungen ihren Beruf aufgeben und viele Frauen können deshalb während Schwangerschaft und Geburt nicht mehr betreut werden. Ist die selbstbestimmte Geburt bei uns in Gefahr? Regisseurin Carola Hauck spricht mit uns über den Start ins Leben.

Anemone Film | HIMBEER MagazinFrau Hauck, ihr Film „Die sichere Geburt“ geht der Frage nach, was eine selbstbestimmte Geburt ausmacht und welche Faktoren diese eher stören und verhindern. Was war ihre persönliche Motivation, diesen Film zu machen?
Ich hatte bereits im Praktikum für mein Medizinstudium das möglicherweise ausschlaggebende Erlebnis für diesen Film, das war 1988. Damals wurden alle Frauen einer Episiotomie unterzogen, einem Dammschnitt, was mich sehr nachdenklich machte. Ich empfand das als westliche Art der weiblichen Genitalverstümmelung und fragte mich, wie Frauen das wohl erleben.

Dieser Frage ging ich dann nach, als ich nach meinem Filmstudium noch Sexologie studierte. Bei dieser Einzellfallstudie merkte ich anhand der Interviews, die ich mit Frauen führte, die Probleme mit der Verarbeitung des Dammschnittes hatten, dass sie ihre Geburten alle mit einem fast identischen Satz beschrieben: „Ich war gar nicht da. Ich war nur die, die das Kind zur Welt brachte.“ Wenn man bedenkt, dass die Mutter neben dem Kind die Hauptrolle bei der Geburt spielt, eine erschütternde Aussage. Das führte zu meiner Masterarbeit „Kommunikation von Hebammen im Kreißsaal“.

Ich kam immer tiefer in das Thema und sah die Verflechtungen, die es bereits seit dem Mittelalter zwischen den Hebammen und der Schulmedizin gibt. 2012 kam dann die erste Erhöhung der Haftpflichtversicherung für Hebammen und Geburtshelfer. Was mich sehr ärgerte, war, dass damals die Journalisten nur einer Mainstream-Meinung folgten und ohne Fakten zu überprüfen und Forschung zu Rate zu ziehen, die außerklinische Geburt als hochriskant und die Klinikgeburt mit all ihren technischen Möglichkeiten als das einzig Wahre darstellten.

Das Wort Hausgeburt löste sofort einen Sturm von Entrüstung aus. An diesem Punkt traf ich den Entschluss, diesen Film zu machen. Einen Film der eben genau dieser Frage nachgeht: Was macht eine physiologische Geburt sicher? Also eine Geburt, die mit dem tausende von Jahren alten Programm abläuft, ohne von außen gestört zu werden.

Wenn man sich anschaut, welche gesundheitlichen Folgen die Störungen von Geburtsverläufen haben und auch der Kaiserschnitt, der ohne Wehentätigkeit gemacht wird, dann ist es eine Frage der Menschenrechte, darauf hinzuweisen und sich des Themas anzunehmen. Die werdenden Eltern, insbesondere die Frau, hat das Recht, umfassend informiert zu sein, bevor sie eine Entscheidung trifft. Sie braucht eine Grundlage zu der Entscheidung. Es geht darum selbstverantwortlich in die Geburt zu gehen. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, kein Frauenthema. Das muss betont werden.

Es geht unsere gesamte Gesellschaft an, wenn Frauen und Kindern Gewalt zugeführt wird. Natürlich ist es keine Gewalt, die absichtlich zugeführt wird. Aber diese Unterwerfung der Bedürfnisse der Frau an die institutionellen Abläufe in einer Klinik unter den Wehen, während der Geburt, und der Versuch der Anpassung der Geburt an eben diese führt zu Gewalterfahrungen bei den Frauen. Und auch bei den Kindern.

Ein Kind, das in der Rückenlage nicht gut versorgt wird, wo die Wehentätigkeit wegen der PDA weniger wird, das kommt nicht heraus. Ganz oft wird dann eben auch unsanft nachgeholfen. Das ist dann das erste Erlebnis des Kindes. Es hat es nicht selbst geschafft, was es aber hätte schaffen können. Wir kümmern uns darum, mit allem nachhaltiger umzugehen, aber wir verpassen unseren eigenen Kindern einen Start ins Leben, der mit einer Gewalterfahrung begleitet ist.

Woher kommt dieser Wandel hin zu immer mehr medizinischer Überwachung und Intervention?
Hier bekommen wir die Antworten, wenn wir uns die Strukturen und unsere Werte ansehen. Krankenhäuser sind durch die Verschmelzung von klerusgeleiteten Hospizen und dem Militär in den 1870 ́ern entstanden. Sie haben bis heute die pyramidale Hierarchie des Klerus und die gleiche Struktur wie das Militär. Dazu kommt, dass die Gynäkologie eine Männer-Domäne ist und Männer sehr technikaffin. Allgemein empfinden wir alles, was wir mittels Maschinen beeinflussen oder kontrollieren können, als Fortschritt.

Hinzu kommt der Effizienz-Gedanke. Ein Krankenhaus ist ein effizienzorientiertes Unternehmen. Nicht nur, weil es ein gewinnorientiertes Unternehmen ist. Krankenhäuser sind auf Notfälle ausgelegt und darin sind sie sehr gut. Geburt ist aber kein Notfall. Geburt braucht seine Zeit. Und die wird den Frauen nicht gegeben. Die Geburten, die statistisch erfasst werden, verlaufen unter Medikamenteneinfluss und werden dann zur neuen Norm erklärt.  So wurde der Geburtsprozess bereist seit dem 19. Jahrhundert um 20 Stunden verkürzt. Welchen Sinn macht das?

Wird bereits die Schwangerschaft als pathologisch wahrgenommen oder steigt auch bei den Schwangeren das Bedürfnis nach absoluter Sicherheit?
Heute haben wir diesen allmächtigen Machbarkeitsgedanken. Wir denken, wir können alles kontrollieren und das Ergebnis sichern. Geburt passt da als Urtrieb-Verhalten nicht rein, scheint sogar Angst zu machen. Sobald Frauen sich auf ihre eigenen Kräfte besinnen und sich mittels Entspannungsmethoden zentrieren wollen, um ihre innere Stimme besser hören zu können, um den Kontakt zu ihrem Kind spüren zu können, bekommen sie sehr schnell einen „Esoterik – Stempel“. Gleichzeitig sind Achtsamkeitsseminare für Manager voll im Trend. Statt dessen soll alles überprüft werden.

Und wer sucht, der findet. Es richtet wirklich Schaden an, wenn diese ganzen Vorsorgeuntersuchungen die Frauen verunsichern. Ihr eigenes Gefühl zum Kind nehmen sie nicht mehr wahr. Sie wissen nicht, ob es ihnen gut geht, sie müssen den Arzt fragen. Dieser Stress, der da aufgebaut wird, der hat tatsächlich auch schon einen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf. Stress treibt den Blutdruck hoch und verschließt die Gefäße. Dadurch wird das Kind nicht so versorgt, wie es bei einer entspannten Mutter der Fall wäre. Die Interventionen fangen quasi mit dem Schwangerschaftstest an. Es gibt hierzu eine Studie von Prof. Kolip und Prof. Schäfers, die bei der Bertelsmannstiftung veröffentlicht wurde.

 

Welche Interventionen kommen unter der Geburt besonders häufig zum Einsatz und welche Folgen haben diese für die Geburt?
Es gibt aktive und passive Interventionen. Die passive Intervention oder Störung ist, dass die Frau im Krankenhaus Gast ist und sofort versucht, sich den Regeln dort anzupassen. Das ist kulturbedingt, sie unterdrückt ihre Bedürfnisse, lebt sich nicht aus. Sie begegnet fremden Menschen und die Räume riechen anders und haben eine andere Temperatur als ihr Zuhause. Bis sie sich daran gewöhnt hat, kommt es sehr häufig vor, dass die Geburt erst einmal eine Weile aufhört und sie keine Wehen mehr hat. Im Krankenhaus laufen die Stunden aber weiter, als müsste sie gegen die Uhr gebären, und es wird irgendwann eingegriffen.

Dann gibt es von der organisatorischen Seite des Krankenhauses einige routinemäßige Interventionen, die ebenfalls störend wirken. Zunächst wird eine Aufnahme gemacht, die Frau muss also Fragen beantworten. Banal, aber störend, denn das Frontalhirn stört mit seiner Aktivität den Ablauf des Urprogramms.

Im Urprogramm würde die Frau in eine schmerzgedämpfte Trance kommen, wo ihr die Wehen eher wie eine enorme Kraft erscheinen und nicht wie Schmerzen, denen sie ausgeliefert ist. Das englische Wort „Labour“ für das deutsche Wort „Wehe“ zeigt, dass dort der Fokus auf der Arbeit liegt, die die Frau leistet und nicht auf dem Schmerz.

Weiter geht es mit der stündlichen Muttermund-Untersuchung, die nur für die Unterlagen gebracht wird. Man kann als Geburtshelfer mittels der Leopold ́schen Handgriffe genau feststellen, wie weit die Frau unter der Geburt ist, dazu bedarf es nicht dieser häufigen vaginalen Untersuchungen. Diese Untersuchungen werden von einigen verschiedenen Menschen vorgenommen. Das ist schon sehr störend, schließlich ist es der Intimbereich der Frau und zusätzlich befindet sie sich in einem Ausnahmezustand. Man muss das nicht erlebt haben, um es nachempfinden zu können.

Es wird ein venöser Zugang gelegt, für den Fall, dass ein Notfall eintritt. Dieser stört die Frau beim Bewegen, sie hat Schmerzen in der Ellenbeuge und Angst, sie könnte irgendwo hängen bleiben und bewegt sich schon nicht mehr so, wie sie es eigentlich gerne impulsmäßig täte. Es wäre möglich, diesen Zugang dann zu legen, wenn sich ein Notfall anbahnt.

Weiter geht es routinemäßig mit einem Dauer-CTG, welches in England seit 2015 schon gar nicht mehr gemacht werden darf, weil es zu 20% häufiger zu einem Kaiserschnitt führt. In denn allermeisten Fällen liegt die Frau hierfür eine halbe Stunde auf dem Rücken und darf sich nicht bewegen, da sonst das Gerät fehlerhaft aufzeichnet. Ihr Körper will sich aber bewegen, da sie Schmerzen hat, die daher kommen, dass das Becken sich weitet, da das Kind ins Becken eintritt. Wenn sie liegt, kann dort kein Raum entstehen, die Schmerzen werden unerträglich, es kommt der Ischiasschmerz hinzu, weil der Nervus Pudentus geklemmt wird.

Sehr bald schon wird sie die PDA nicht mehr ablehnen und liegt dann den Rest der Geburt weiter auf dem Rücken, wodurch es zu einer venösen Stauung kommen kann. Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass die Rückenlage die mit Abstand schlechteste Geburtsposition ist. Trotzdem finden in Deutschland noch über 80 % der Geburten auf dem Rücken statt, mit allen Notsituationen, die sich nur daraus für das Kind und die Mutter ergeben.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Geburt wieder zu einem selbstbestimmten Erlebnis werden zu lassen?
An erster Stelle steht immer die Aufklärung. Unsere Großmütter, die noch Geburten zu Hause sehen konnten von der eigenen Mutter, der Tante oder der Nachbarin, hatten alle das Wissen, dass das etwas ist, was sie können, was sie aushalten.

Seit drei Generationen wird im Krankenhaus geboren und alle denken, die Frau kann es nicht anders. Sie selbst denkt es. Wir können dahin kommen, wenn Frauen wieder Zugang dazu bekommen, wie so eine Geburt natürlicherweise abläuft, was in ihrem Körper passiert. Dazu müssen Rahmenbedingungen in Kliniken geschaffen werden, die Geburten nicht mehr an die Fallpauschalen koppeln. Eine Geburt ist nichts, was optimiert werden kann, um gewinnbringender zu sein. Rein ethisch müßte sich diese Herangehensweise schon verbieten, die Geburt unsrer Kinder mit der Herstellung von Ware gleichzusetzen.

Es müssten die Ausbildungen von Hebammen und Ärzten modernisiert werden. Ärzte müßten in ihrer Ausbildung auch nicht-intervenierte Geburten sehen, denn sie sind zu sehr auf die Pathologie ausgerichtet. Alle müßten gewaltfreie Kommunikation üben. Wir bräuchten ein Qualitätsmanagement, welches sich dafür interessiert, wie die Frauen die Geburt erlebt haben und die die Abläufe eben daran orientieren und nicht nach dem Schichtdienstplan.

Wir brauchen viel mehr Hebammen für eine tatsächliche 1:1 Betreuung und diese müssen auch entsprechend vergütet werden. Die Anhebung der Haftpflichtversicherung führt aktuell dazu, dass immer mehr Geburtsabteilungen schließen und Belegärzte und Hebammen ihre Arbeit aufgeben. Am Ende dieser Entwicklung stehen Boardinghäuser und geplante Kaiserschnitte. Schon jetzt git es Notfälle mit verstorbenen und schwerstbehinderten Kindern auf Grund der Haftpflichtanhebung und des resultierenden Personalmangels – das ist absurd und sehr traurig.

Wir müssen uns, so denke ich, als Gesellschaft überlegen, was wir uns für das wichtigste, was wir haben, den Kindern, als Lebensstart ermöglichen wollen. Und dann müssen wir danach handeln.

Der Film ist auf DVD über www.die-sichere-geburt.de erhältlich.

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