© Henriette Bandulik

Platz da, ich komme! Geschwisterkinder

Wo ist der Nasensauger, wer bringt die Große zur Schule und was war noch mal Me-Time?! Mit der Ankunft eines neuen Geschwisterchens sortiert sich der wuselige Alltag oft neu. Zwei Familien erzählen, wie sich Dynamiken und Konstellationen bei ihnen verändert haben, seit ein Kind mehr da ist.

Wusstet ihr, dass die meisten Kids in Deutschland mit Geschwistern aufwachsen? Dem Statistischen Bundesamt zufolge lebten zuletzt sogar mehr als drei Viertel aller 13,6 Millionen unter 18 Jahren mit mindestens einer Schwester oder einem Bruder gemeinsam in einem Haushalt. Klaro: Dabei kann‘s schon mal wild zugehen.

Geschwisterkinder – was in Familien passiert, wenn noch ein Baby Kommt // HIMBEER
© Henriette Bandulik

Verstehen sich alle gut, ist das Leben mit Geschwisterkindern aber ziemlich wunderbar. Irgendwann zumindest. Stoßen neue kleine Mitbewohner:innen zum bereits eingeschworenen Team aus Eltern und älteren Geschwistern hinzu, ruckelt man sich erst mal ein. Immerhin gab es bereits fixe Abläufe, Routinen, die man als Familie gemeinsam gefestigt hatte – und vielleicht sogar mehr als sechs Stunden Schlaf in der Nacht, bis da wieder ein kleines Menschlein mit großem Gebrüll und niedlichstem Glucksen in die Runde geplumpst kam.

Im Baby-Modus nach zehn Jahren Pause

Wie das ist, wenn man mit deutlich älteren Geschwisterkindern erneut ein Baby in seiner Mitte hat, erleben gerade Miriam (40) und ihre Familie.
Als vor etwas über einem halben Jahr Romy zur Welt kam, gab es mit Milla (13) und Maya (11) schon zwei Schwestern aus einer vergangenen Beziehung zu Hause. „Ich habe gefühlt zwei Kinder – und noch mal eines extra“, so Miriam in Hinblick auf den großen Altersabstand.

Patchwork-Familie – wenn noch ein neues Baby kommt // HIMBEER
© Henriette Bandulik

Während die Älteren zwei Jahre trennen, kam die kleine Nachzüglerin mit Miriams neuem Partner Timo (34) über zehn Jahre später, absolut erwünscht. „Unabgesprochen war klar, dass wir ein Baby wollen. Es matchte einfach so gut mit uns“, erzählt Miriam.

Die Großen haben sich so gefreut, als sie davon gehört haben, dass ein Baby unterwegs ist. Milla meinte nur: „Waaas? Du bist schwanger?“ Maya ist komplett in Tränen ausgebrochen – vor Freude.

Und tatsächlich entpuppte sich auch ihr Geschwistermodell mit zwei deutlich älteren Geschwistern als echter Glücksfall – allein schon deshalb, weil Milla und Maya durch ihr Alter weniger bedürftig und gleichzeitig viel autonomer sind. „Was mich früher mit ihrem Abstand von zwei Jahren Abstand zerrissen hat, gab‘s mit Baby dieses Mal einfach nicht“, erinnert sich Miriam. „Gottseidank gehen die Großen alleine ins Bett: Zähneputzen – und los! Es ist so viel einfacher mit älteren Kindern.“

Räuberleiter von den Großen

Durch ihr Patchwork-Modell sind Milla und Maya im Wochenrhythmus bei Miriam. In dieser Zeit greifen sie ihr bei Romy gerne unter die Arme, wenn Freund Timo ganztags arbeitet. „Es ist ein mega Unterschied, ein Baby zu haben und gleichzeitig große Kids, die aufpassen können, wenn ich mal aufs Klo muss oder schnell etwas kochen will“, weiß Miriam. „Wenn ich Romy kurz auf dem Teppich liegen lasse, kann ich sicher sein, dass sie sich nicht direkt umbringt.“ Dazu kommt, dass die Schwestern die größten Fans der Kleinen sind.

Patchwork-Familie – wenn noch ein neues Baby kommt // HIMBEER
Girl Power im Dreierpack: Maya (11) und Milla (13) mit ihrer Babyschwester Romy. © Henriette Bandulik

Eifersucht? Fehlanzeige! „Sie streiten höchstens mal, wer sie halten darf“, erzählt Miriam lachend. „Umgekehrt himmelt Romy die Großen total an. Aber aktuell sind die beiden für sie natürlich auch nur zwei weitere Leute, die sie auf den Arm nehmen.“ Kleine Momente der Unsicherheit gab es im Vorfeld jedoch auch bei ihnen.

„Kurz vor der Geburt hat Maya manchmal gesagt: Schon komisch, wenn da wieder ein Baby ist. Dann hast du ja weniger Zeit für mich“, erzählt Miriam. Sie habe ihr dann erklärt, dass sie sich trotzdem gemeinsame Zeit nehmen und Maya je älter sie werde, umgekehrt auch bald weniger Zeit mit ihrer Mutter verbringen wollen
würde. Und so kam es.

Mal ehrlich jetzt!

Allgemein sind Ehrlichkeit und Offenheit für Miriam das A und O. „Wir haben dadurch ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Ich erkläre immer gerne alles und die Mädels können jederzeit zu mir kommen“, sagt sie. Gleichzeitig hat sie Antennen dafür, wenn doch mal etwas komisch ist. „Wenn ich das Gefühl habe, Maya braucht gerade meine Nähe, fädelt sie zum Beispiel ihre Perlen eben bei mir, während ich Romy stille. So können wir Zeit zusammen verbringen und in Ruhe quatschen.“

Patchwork-Familie – wenn noch ein neues Baby kommt // HIMBEER
In ihrer Patchwork-Konstellation wechseln Miriam und Timo im Wochenrhythmus von Paar mit Baby zum fünfköpfigen Familienalltag. © Henriette Bandulik

Den Gedanken, immer irgendwen zu vernachlässigen, hält Miriam für ganz normal. In ihrem Fall hat sie gemerkt, dass die Großen mit der veränderten Aufmerksamkeit gut umgehen können. Partner Timo musste eine Woche nach der Geburt wieder arbeiten, Miriam auch aufgrund eines großen Blutverlustes nach der Geburt viel liegen.

„Da waren die Mädels ganz froh, dass ich ihnen nicht auf die Finger geschaut habe. So hatten sie mehr Screen-Time und haben viel mit Freundinnen gezockt“, erzählt sie. Der positive Effekt war eine größere Eigenständigkeit. Wurden die großen Kids vor der Geburt noch mit dem Auto zur Schule gebracht, haben sie es danach „locker!“ mit dem Fahrrad oder der Tram geschafft.

„Außerdem haben sie sich öfter Essen selbst gemacht. Der Sandwichmaker wurde ziemlich oft benutzt und sie sind auf den Geschmack von Fertignudeln gekommen – das hätte ich vor dem Baby niemals geduldet“, so Miriam lachend. „Ausnahmesituation!“

Gewohnheiten als Glücklichmacher

Geliebte Rituale wie Pfannkuchen jeden Sonntagmorgen hat sich die Familie hingegen ganz bewusst bewahrt. „Notfalls habe ich mir Romy vor den Bauch geschnallt: Irgendwie ging‘s immer – selbst wenn’s ’ne Stunde später wurde“, sagt Miriam. Was sich nicht mehr mit den neuen Abläufen mit Baby vereinbaren ließ, hat die Familie angepasst. Freitag gab es beispielsweise immer Pizza und einen Film.

„Nun essen wir meist nur noch zusammen und den Film schauen die anderen alleine, während ich mich mit Romy zurückziehe.“ Dass die Kleine nicht mitschauen soll, denken die Schwestern längst mit. „Die sagen dann: Mama! Der Fernseher ist an, du musst jetzt mit Romy rausgehen.“

Patchwork-Familie – wenn noch ein neues Baby kommt // HIMBEER
© Henriette Bandulik

Mit kleinem Baby beginnt Miriams Nacht nun wieder früher. Dabei, den erneut veränderten Lebensstil gut anzunehmen, hilft ihr ihre Erfahrung. „Dadurch dass ich bei den Großen schon wieder häufig weg war und viel Zeit mit Freundinnen hatte, fand ich es nicht so wild, mich wieder auf die Fremdbestimmung und Einschränkungen mit Baby einzulassen“, sagt sie und schiebt hinterher: „Okay, der Schlafmangel nervt, aber so ist das halt die ersten Monate.“

Mit größerer Gelassenheit ins Gewusel

Bei Lena (40) und Martin (42) ist es eine mit der Zeit gewachsene Unaufgeregtheit, die Ruhe in den erneuten Baby-Alltag gebracht hat. Vor etwa einem Jahr kam die kleine Jolanda zu ihrer Mädelsbande aus Madita (8), Tilda (6) und Smilla (4) und dem ohnehin schon großen Alltagsgewusel dazu.

Sechsköpfige Familie mit vier Töchtern im Garten // HIMBEER
Lenas und Martins Rezept: Jedes Kind bringt mehr Gelassenheit – so behalten sie im wuseligen Alltag mit ihrer Vierermädchenband die Nerven. © Henriette Bandulik

„Zwischen 6:00 und 8:00 Uhr ist hier High Life. Da würde ich manchmal gerne wegrennen. Irgendwer hat immer eine Krise“, erzählt Lena mit einem Augenzwinkern. „Aber insgesamt denke ich, dass jedes Kind den Eltern mehr Gelassenheit bringt. Sonst überlebt man das nicht.“

Alle feiern Jolanda sehr. Sie bekommt wenig negative Schwingungen ab. Mal sehen, wie das wird, wenn sie alles zerstört – noch krabbelt sie nur.

Durch die große Routiniertheit, so erzählen die beiden, habe es mit der Geburt von Jolanda die wenigsten Veränderungen gegeben, auch auf emotionaler Ebene. „Einerseits weiß man bei einem selbst schon, wie man in der ersten Zeit tickt. Andererseits gab es am wenigsten Eifersucht – vielleicht, weil Smilla im Vergleich zu ihren Schwestern damals ein Jahr älter war, als das neue Baby kam“, erinnert sich Lena. Vielleicht auch, weil die Begleitung durch die Schwangerschaft so gut funktioniert hat.

Geschwisterkinder – wie fügt sich das vierte Kind in die Familie ein? // HIMBEER
© Henriette Bandulik

„Speziell ein Buch, ‚Baby ist da‘ (von Danielle Graf und Katja Seide, Anm. d. Red.), in dem ein Geschwisterchen in der Familie ankommt, wollte Smilla wirklich immer wieder lesen. Das Thema hat sie schon beschäftigt“, so Martin, der betont, wie wichtig es ihnen grundsätzlich ist, die Jüngeren schon vor Ankunft des neuen Familienmitglieds an die Hand zu nehmen. „Gerade, wenn die Abstände nicht so groß sind, sollte man thematisieren, was da passiert“, findet er.

Buchtipp für Geschwisterkinder: Baby ist da // HIMBEER
Buchtipp für Geschwisterkinder: Baby ist da. von Danielle Graf, Katja Seide und Günther Jakobs, ab 2 Jahren, Pappbilderbuch, 22 Seiten, Beltz Verlag, 08/2020, 10,95 Euro. Bei eurem Lieblingsbuchladen vor Ort, bei genialokal*, dem Onlinehandel der Buchhandlungen, oder bei Amazon* bestellbar. © Beltz Verlag

Alle Gefühle sind erlaubt

Trotz aller Bemühungen kann die Reaktion auf ein Geschwisterchen auch mal negativ ausfallen. Für die Eltern sind sehr starke Gefühle wie Eifersucht und Neid auf ein kleines Baby, das die Welt um sich herum noch gar nicht begreift, manchmal schwer nachzuvollziehen. Schließlich ist für einen selbst klar wie Kloßbrühe, dass die Liebe für alle Kinder reicht.

Lena hat für die neue Geschwistersituation in der Familie ein schönes Bild: „Meine sehr weise Hebamme hat mir bei Nr. 2 mal erzählt, dass die Ankunft des Babys nach der Geburt für ein Kind vom Gefühl her damit vergleichbar ist, wie wenn man in einer Liebesbeziehung nach Hause kommt und sagt: Ich hab plötzlich noch einen Partner, aber ich liebe dich weiterhin.“

Geschwisterkinder im Garten: Vier Schwestern unter 8 Jahren // HIMBEER
Wo schon drei Kinder glücklich aufwachsen, ist auch ein viertes willkommen: Jolanda (1), Madita (8), Tilda (6) und Smilla (4). © Henriette Bandulik

Vergleichen lässt sich auch, wie die exklusive Zeit miteinander verteilt und manchmal hart verhandelt werden muss – keine einfache Aufgabe. „Zeit allein mit den einzelnen Kindern ist wirklich schwer planbar. Ich versuche, immer mal mit nur einer der Großen schwimmen zu gehen oder Fahrrad zu fahren, aber das ist auch nicht immer gewünscht, vor allem in der Sandwich-Rolle von Tilda“, erzählt Martin. „Manchmal soll die große Schwester lieber mit – und dann doch wieder nicht. Die Gefühle sind oft ambivalent.“

Am Ende ein Team

Während wesentlich veränderte Abläufe nach der Ankunft des jungen Geschwisterchens in der Familie weniger Thema waren, machen sich die beiden derzeit viele Gedanken über solche Konstellationen. „Es prägt dich fast nichts mehr in deinem Leben, als die Position, in die du in deine Familie geboren wirst“, weiß Lena. Umso mehr bemühen sich sie und Martin darum, die Kinder in ihren verschiedenen Rollen feinfühlig zu beobachten.

Zwei Schwestern im Garten auf der Rutsche // HIMBEER
© Henriette Bandulik

Denn die aktuelle Dreier-Konstellation der Größeren hat auch ihre Tücken – so gut sich die Töchter untereinander verstehen. „Durch Corona sind die Ältesten mehr zusammen gewachsen“, erzählt Martin. „Smilla muss sich ihren Platz noch erkämpfen.“

Jedes Kind muss die eigene Rolle finden // HIMBEER
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Bei aller Liebe und Zuneigung seien Geschwister eben immer auch Konkurrent:innen, ergänzt Lena, die darauf setzt, dass Jolanda zukünftig eine Gefährtin für Smilla werden könnte. „Vielleicht bilden die beiden dann ihr eigenes Team“, hält sie fest. Ohnehin dreht sich viel um Teamfähigkeit – auch als Eltern.

Wir haben die Altersabstände der Kinder nicht wirklich geplant. Die Zeitfenster entsprachen dem Moment, wann ich mich wieder bereit gefühlt habe – mental und körperlich.

Die prägende erste Geburt von Madita, die wegen einer Präeklampsie schon in der 32. Woche geholt werden und als Frühchen lange in der Klinik bleiben musste, hat Lena und Martin laut eigener Aussage gleich zu Beginn ihrer Elternschaft eng zusammen geschweißt. „Wir mussten damals ein Team sein, das konnten wir gut weiterführen“, sagt Lena. Diese Grundeinstellung zueinander überträgt sich auch auf die Familienführung, egal welche Konstellation es gerade gibt: „Uns ist wichtig, dass alle wissen, was Familie bedeutet: Man steht füreinander ein“, so Martin. Und um Zusammenhalt geht es am Ende doch immer, oder?

Vier Geschwisterkinder – wenn noch ein Baby dazu kommt // HIMBEER
© Henriette Bandulik

Auch wenn das jüngste Geschwisterkind mal wieder wie eine Abrissbirne in die ausgebuffte Burg aus Bauklötzen gecrasht ist und die Ältere am Abend wirklich viel, VIEL länger vorgelesen bekommen hat. Zusammen behaupten sich Geschwister gegen nervige Eltern. Und alle gemeinsam stehen Seite an Seite in dieser verrückten Welt, die sich manchmal schneller dreht, als wir Drehwurm sagen können.

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