Wie Kinder Beziehungen durcheinander wirbeln – und wie wir trotzdem die Romantik retten können.
Das Leben mit Kindern kann mitunter ganz schön herausfordernd sein und Eltern an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringen. Wie man auf die jeweiligen Bedürfnisse, sich selbst und das Gegenüber achten, sich Auszeiten und gemeinsame Räume als Paar schaffen kann – dazu lassen wir Laura und Tobias Goldfarb zu Wort kommen. Als Paartherapeut:innen, Paar und Eltern haben sie Ahnung von den Fallstricken, Unmöglichkeiten und Möglichkeiten einer Beziehung mit Kind(ern).
Elternzeit-Special: Romeo, Julia und der Babybrei
Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. Aber die wahre Magie beginnt dann, wenn der Anfang vorbei ist. Wir sind seit elf Jahren ein Paar, und wie fast immer war die erste Zeit bei uns zauberhaft. Unsere erste echte Krise hatten wir ausgerechnet beim Heiratsantrag. Wir hätten uns fast während der Verlobung auf den Klippen einer griechischen Insel getrennt. Von diesem Zeitpunkt an haben wir begonnen, uns für Paardynamiken zu interessieren.
Es musste doch irgendwie möglich sein, dem klassischen deutschen Modell „Paar hat sich nichts mehr zu sagen und schweigt sich an“ zu entgehen. Wir beide haben damals, noch ohne Kind, im Theater gearbeitet. Dort sind große Gefühle eine Ressource, mit der man Kund:innen in den Saal lockt. Leider hören die legendären Liebesgeschichten der Weltliteratur immer da auf, wo die beiden eigentlich zusammenziehen müssten.
All drama must remain on the stage
Romeo und Julia zum Beispiel, die Geschichte einer Liebe, die alles besiegt! Aber wie Julia sich den ganzen Tag um die Kinder kümmert, und abends auch noch sexy sein soll, wenn Romeo aus dem Büro nach Hause kommt, das weiß Shakespeare auch nicht. Wie Romeo vor der Auswahl an Babybreigläschen im Drogeriemarkt verzweifelt und eine Panikattacke bekommt, verschweigt Shakespeare. Wo bleibt bei den beiden die Romantik, wenn statt einer Flasche Soave ein Babyphone neben ihrem Bett steht? Warum hat Shakespeare darüber nichts geschrieben?
In der Theaterwelt konnten wir perfekt über das Thema Beziehungen recherchieren. Während eine von uns als Schauspielerin unter anderem damit Geld verdiente, dass sie auf der Bühne andere Männer küsste, konnte der andere als Autor Beziehungsdramen schreiben, bei denen am Ende alle tot sind. Gemeinsam haben wir Regie geführt und viel über Eifersucht, Neid, Hass und Zerrüttung erfahren. Das lag nicht an der Dramaturgie der Stücke, sondern an der Teamdynamik in so manchen Ensembles.
„All drama must remain on the stage“ ist ein Schild, das auf fast jeder Hinterbühne hängt und genau so ignoriert wird wie die Schilder „Fahrradstraße – Anlieger frei“ in dieser Stadt. Eine perfekte Vorbereitung auf die Arbeit in der Paartherapie.
Mittlerweile sind wir froh, den Regiestuhl mit dem Therapeut:innensessel getauscht zu haben, und wir lieben es, Paare auf einem Stück ihres Wegs zu begleiten. Romeo, Julia und die anderen kommen jetzt zu uns in die Praxis. Gut, dass wir vorher in Sachen Drama gearbeitet haben: Wir haben keine Angst vor Tränen und kennen uns auch mit den Grundtechniken des Degenkampfes gut aus. Beste Voraussetzungen.
Schrei mir in die Ohren, Kleines
Als wir mit der therapeutischen Arbeit begonnen haben, war die große Überraschung: Nicht Seitensprünge, Affären, Betrügereien oder heimliche Flirts sind die großen Beziehungskiller, sondern süße, unschuldige Babys. Aber warum sind Kinder problematischer als die entdeckte Liebhaber:in-SMS auf dem Handy? Was ist da los?
Eines jedenfalls ist klar: Sobald Kinder da sind, hat die Romantik ausgedient. Die Natur braucht keine Liebenden mehr, die Natur braucht Pflegepersonal. Eltern müssen vor allem eines: Funktionieren. Wer sagt schon noch „Ich schau dir in die Augen, Kleines“, wenn einem dabei etwas Kleines in die Ohren schreit? Das mussten auch wir feststellen, als unsere Tochter die neue Diva auf der Bühne unseres Lebens war.
Auch wir sind an unsere Grenzen gekommen. Als Frischverliebte hatten wir immer gedacht: Nichts wird jemals zwischen uns kommen. Erst recht nichts, was so klein ist wie ein Baby. Sobald das Kind aber da ist, bleiben einem nur noch zehn Zentimeter am Rand der Matratze des Lebens.
Reiches Inneres … Spinnt ihr?
Es ist fast schon eine Binsenweisheit: Wer eine gute Beziehung führen möchte, muss selbst ein reiches inneres Leben haben. „Reiches inneres Leben?“, fragte kürzlich eine Klientin zurück. „Spinnt ihr? Ich bin Mutter!“ Ja, stimmt natürlich. Für inneres Leben ist mit Kindern kaum Zeit, erst recht nicht für ein reiches.
Aber diese Zeit muss gefunden werden. Notfalls muss sie eingeplant werden wie ein Termin beim Zahnarzt. Und auch Zeit, die das Paar für sich hat, muss sein. Beides ist wichtig: Zeit, sich selbst zu finden und Zeit als Paar. Wie zum Teufel soll das gehen, wenn man kaum Zeit hat, sich einen Kaffee zu machen? Wir haben zwei Tipps für dieses Dilemma.
Erster Tipp: Gewöhnt eure Kinder daran, dass beide Elternteile alles übernehmen können. Warum lässt sich die Tochter nur von Mama ins Bett bringen? Warum putzt der Sohn nur mit Papa die Zähne? Wenn man von Anfang an etabliert, dass das auch mit beiden geht, gelingt es später besser, sich Freiräume als Paar zu schaffen.
Zweiter Tipp: Plant eure Freiräume. Tragt sie in einen gemeinsamen Kalender ein. Betrachtet diese Termine als wichtige, nicht verschiebbare Arbeitstermine. Nein: wichtiger als Arbeitstermine. Wartet nicht auf irgendeine Gelegenheit, irgendeine Stimmung, denn dann wird immer irgendetwas dazwischen kommen.
Plant gemeinsame Stunden und Zeiten, die jede:r für sich allein hat. Für Kinder kann das auch toll sein: Papa geht aus, es gibt Popcorn! Mama geht aus, lange Vorlesestunde! Wenn es nach unserer Tochter ginge, würden wir nur noch einzeln ausgehen. Aber selbst Paare, die das mit den Auszeiten für sich gut hinbekommen, scheitern oft an der Klippe Kind. Warum?
Echtes Kind oder inneres Kind?
Klar, Kinder sind anstrengend. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sie Beziehungen so durcheinander wirbeln können. Die Wurzeln des Problems liegen in der Regel in der Zeit, bevor Nachwuchs überhaupt auf dem Radar ist. Es beginnt schon da, wo wir uns als Paar finden. Warum kommen wir zusammen? Weil die Dating-App uns über 90 Prozent Matchability bescheinigt hat? Weil wir beide die Stones toll und die Beatles naja finden? Oder umgekehrt?
Weil wir plötzlich eine:n „Seelenverwandte:n“ gefunden haben? Möglicherweise. Aber eine große Rolle spielt in der Regel auch unsere eigene Kindheit. In dem:der Partner:in finden wir Qualitäten, die uns bei den eigenen Eltern gefehlt haben – oder solche, die wir bei den eigenen Eltern geschätzt haben und wiederbeleben wollen. Oder – das Leben ist kompliziert – beides gleichzeitig. Wir sehen in dem:der Partner:in oft unbewusst eine Elternfigur, nach der wir uns in der Kindheit gesehnt haben. Wir sind füreinander nicht nur Liebende, sondern auch Eltern.
Das vielzitierte „innere Kind“ findet jemanden zum Anlehnen. Das funktioniert in der Regel ganz gut, bis dann echte Kinder da sind. Wir können jetzt nicht mehr für den:die Partner:in Mutter oder Vater spielen. Das echte Kind ist eben doch wichtiger als das innere Kind der Erwachsenen, und hier beginnen die Probleme.
Aber ist es nicht doch möglich, zumindest einen Funken der Romantik zu erhalten, trotz Wickeltisch, Kita-WhatsApp-Gruppe und Wutanfall bei den Hausaufgaben? Und was ist mit denen, die sich alleine um die Kinder kümmern? Müssen sie dem Leben der Bohème für immer adieu sagen? Gibt es nicht irgendeinen Trick, irgendeinen Zauberspruch, der uns von perfekt (oder nicht ganz so perfekt) funktionierenden Familienmaschinen wieder in leidenschaftliche Lover verwandelt? Die schlechte Nachricht ist: Leider gibt es diesen Zauberspruch nicht. Wie immer, wenn man etwas Großes erreichen möchte, bedeutet es harte Arbeit. Die gute Nachricht ist: Diese Arbeit kann sogar Spaß machen.
Die Beziehung als Fight Club
Als ich (Tobias) das erste Mal Lauras jüdische Großfamilie am Abendbrottisch erlebte, dachte ich, die würden sich bald alle gegenseitig umbringen. Dabei haben sie gar nicht gestritten, sondern sich einfach nur unterhalten. Wenn sie wirklich streiten, fliegen die Fetzen, und danach liegt man sich in den Armen. Als ich (Laura) am Anfang versucht habe, mit Tobias zu streiten, ist er immer eingeschlafen, so anstrengend war das für ihn. Es war zum Mäusemelken.
Richtig zu streiten ist nicht leicht, aber überlebenswichtig. Vor allem, wenn Kinder da sind. Paare, die zu uns kommen und berichten, sie würden sich nie streiten, wundern sich oft, warum es ausgerechnet ihr Kind ist, das den anderen in der Kita die Förmchen über den Kopf haut oder in der Schule als Querulant:in gilt. Kein Wunder: Die Gefühle, die unter den Teppich gekehrt werden, suchen einen Ausgang.
Eine richtige Streitkultur ist nicht nur für das Paar gut, es zeigt auch dem Kind, wie es mit Konflikten umgehen kann. Aber wie streitet man überhaupt richtig? Bei einem guten Streit sollte das Ziel immer sein, einander zu verstehen, anstatt einander zu besiegen. Und: Eltern haben nicht viel Zeit für einen handfesten Streit. Da muss schnell und effizient eine Lösung her. Wie kommen wir da hin?
Beim Streiten immer an die U-Bahn-Polsterbezüge denken
Schuldzuweisungen nerven, haben die Tendenz, als Bumerang zurückzukommen und sind vollkommen unnütz. Am besten lassen wir sie ganz weg. Das ist allerdings leichter gesagt als getan, erst recht, wenn die Nerven blank liegen. Die Paare, die zu uns kommen, erwarten oft, dass wir für sie die Richter:innen spielen: Wer hat wann und was falsch gemacht? Wer ist schuld? Wer hat Recht? Wer wird freigesprochen und wer muss das Büßer:innenhemd überstreifen? Aber so funktioniert das leider nicht. Die Suppe, die es auszulöffeln gilt, haben beide gemeinsam gekocht. Wichtig ist, dass beide sich gehört und verstanden fühlen. Und da hat das „Prinzip Schuld“ nichts zu suchen.
Wir alle kennen die Muster auf den Sitzen der Berliner U-Bahn. Es sind schreckliche Muster. Noch schrecklicher sind aber trennende Kommunikationsmuster, die unbedingt vermieden werden sollten: Unterstellungen, Vorwürfe, Drohungen, Vergleiche, Rechtfertigungen, ungefragte Ratschläge, Beleidigungen, Bagatellisierungen und natürlich die erwähnten Du-Botschaften mit Schuldzuweisung: „Immer lässt du deine Kaffeetasse im Spülbecken …“ Es gibt noch viel mehr dieser scheußlichen Muster. Sie alle führen dazu, dass der Graben nur noch tiefer wird, deshalb werden sie eben „trennende Kommunikationsmuster“ genannt.
Eigentlich ist es unhöflich, immer nur von sich selbst zu sprechen. Aber wenn es darum geht, verstanden zu werden, ist es absolut notwendig – und immer noch besser als die Du-Botschaft à la: „Du hast schon wieder …“. Also: Die eigenen Gefühle und Bedürfnisse analysieren (ist nicht immer ganz leicht) und dem:der Partner:in möglichst verständlich mitteilen: „Ich habe das Bedürfnis, nach einem langen Arbeitstag in eine aufgeräumte Küche zu kommen. Ich fühle mich sonst von dem Chaos überwältigt.“ anstatt des „Immer lässt du deine Tasse …“
Das funktioniert übrigens auch mit Kindern sehr gut. Wer mehr darüber erfahren möchte: Es handelt sich um eine der Grundthesen der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall B. Rosenberg. Wir waren anfangs skeptisch, denn die sogenannte „GFK“ ist schwer in Mode und häufig umweht sie ein räucherstäbchenhafter Hauch von Esoterik.
In Wirklichkeit aber hat Marshall B. Rosenberg, der als jüdischer Spross einer armen Familie im reichen, erzchristlichen Süden der USA gleich doppelt gedisst wurde, uns einen prima Instrumentenkoffer an die Hand gegeben, um besser zu kommunizieren. Denn – das ist die häufige Fehlannahme – bei der gewaltfreien Kommunikation soll man durchaus seine Meinung sagen. Man muss es sogar. Nur diese fiesen Muster, die lernt man zu erkennen und zu vermeiden.
Muss Streit überhaupt sein?
Wir beide sind stolz darauf, dass wir uns mittlerweile so streiten können, dass um uns herum niemand mitbekommt, dass da überhaupt ein Streit war. Wir streiten blitzschnell und ergebnisorientiert. Wir machen uns einen richtigen Sport daraus. Meinungsverschiedenheiten lassen sich nämlich nicht vermeiden, erst recht nicht, wenn es um Kinder geht. Aber seine Position schnell und klar deutlich zu machen und die Position des Gegenüber ebenso schnell zu verstehen – das lässt sich trainieren wie Kung-Fu oder Tai-Chi. Okay, es hilft natürlich, dass ich (Tobias) im Zweifelsfall immer nachgebe. Happy wife, happy life. Oder sagen wir: Fast immer.
Das Ergebnis eines solchen Streits sollte niemals ein fauler Kompromiss sein. Wenn einer auf dem Land leben möchte, und die andere in der Stadt, dann ist keiner glücklich, wenn die beiden in die Vorstadt ziehen: Worst of both worlds. Besser ist es, herauszufinden, wie wichtig einem ein gewisser Punkt ist. In den wirklich wichtigen Punkten lohnt es sich, auf dem eigenen Standpunkt zu beharren. Dafür kann man in anderen nachgeben.
Natürlich wird es dann schwierig, wenn es um die großen Fragen geht: Sollen wir Kinder haben oder nicht? Wollen wir uns trennen oder zusammen bleiben? Gibt einer von uns beiden den Beruf auf, um sich nur um die Familie zu kümmern? Aber wir glauben, dass es bestimmte Kommunikationsmuster gibt, die erlernbar sind und die jedem Paar helfen, Nähe aufzubauen.
Warum bin ich hier?
Und wenn wir trotz alledem unglücklich sind? Führende Philosoph:innen behaupten: Für das eigene Glück ist jede:r selbst verantwortlich. Für sein:ihr Unglück übrigens auch. Wir dürfen nicht von anderen Menschen erwarten, unsere inneren Dämonen zu vertreiben. Und was die Partner:innen angeht – egal, welchen Menschen man sich aussucht: Sie oder er wird einen frustrieren, langweilen, abtörnen, ärgern, runterziehen, anöden, den letzten Nerv kosten, auf die Palme und zur Weißglut bringen, absolut kalt lassen, entmutigen, vor den Kopf stoßen, eingengen, demoralisieren, betrüben und verbittern.
Und wir werden dasselbe mit ihm tun. Es geht leider nicht anders. Wir sind Menschen. Es wird, hoffentlich, ohne Absicht geschehen. Aber es wird geschehen. Wir werden uns leer, sinnlos und todunglücklich fühlen, egal wer an unserer Seite ist. Weil wir Menschen sind. Egal, für wen wir uns entscheiden: Etwas wird fehlen. Wir werden leiden. Wir haben nur die Wahl, für welche Art von Leid wir uns entscheiden.
Klingt deprimierend? Das ist es auf keinen Fall. Unser Leben ist eine Tragödie. Es endet immer mit dem Tod. Doch in diese Tragödie können wir jede Menge Vergnügen packen. Aber wir müssen mutig sein. Man kann sich in eine langjährige Beziehung nicht hineinlegen wie in eine Badewanne. Denn dann wird das Wasser irgendwann kalt.
Wir können uns jeden Tag aufs Neue fragen: Warum bin ich hier? An der Seite von diesem Menschen? Weil ich jemanden brauche, der:die mir die Steuererklärung macht oder den Fahrradreifen repariert? Oder weil ich es will. Weil ich mich aktiv dafür entscheide?
Goldfarb & Goldfarb
Laura und Tobias bieten Paartherapie, Einzelsitzungen, Beziehungs-Check, Mediation und Teambuilding in ihren Räumen in Berlin-Prenzlauer Berg oder als Online-Sitzungen (auch auf Englisch) an. goldfarb-goldfarb.com
Mehr von den beiden könnt ihr in ihrer Kolummne „Liebe Goldfarbs“ hier zukünftig regelmäßig auf muenchenmitkind.de lesen.
Ihr habt eine Frage, der sich die beiden Paartherapeut:innen widmen können? Dann schreibt uns an liebegoldfarbs@himbeer-verlag.com