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Ein Kopf voller Träume – Die Welt der Kindermusik

Suli Puschban ist Kinderliedermacherin, Vorsitzende des Netzwerks Kindermusik und wurde 2019 mit dem Musikautor:innenpreis der GEMA in der Kategorie „Text Kinderlied“ ausgezeichnet. Für uns hat sie einen sehr lesenswerten Text über die Vielfalt und Bedeutung von Kindermusik verfasst.

Vor zwanzig Jahren habe ich mein erstes Album mit Liedern für Kinder mit dem Titel „Ich sehe aus wie Elvis“ veröffentlicht. Die Behauptung als Frau auszusehen wie Elvis war in sich schon ein politisches Statement.

Das gleichnamige Lied ist bis heute ein Türöffner bei meinen Konzerten, hunderte habe ich davon im deutschsprachigen Raum gespielt, entweder solo oder mit meiner Rockband der „Kapelle der guten Hoffnung“. Vier weitere Alben kamen dazu, ich wurde Teil des Netzwerks Kindermusik und habe viele Kinderliedermacher:innen und ihre lebendige Szene kennengelernt.

Zwei Sätze prägen die momentane Wahrnehmung von Kindermusik: „Es gibt ja wenig außerhalb von Rolf Zuckowski.“ und „Endlich gibt es Musik, die auch Eltern ertragen können!“ Was daran stimmt und was nicht, möchte dieser Text erforschen.

Doof geboren ist keine:r

Musik für Kinder hat viele Gesichter und in den letzten Jahren einen grandiosen Aufschwung erlebt. In allen Ecken des deutschsprachigen Raumes machen Künstler:nnen Musik für Kinder in allen Altersklassen, von Kita über Grundschule bis zum Familienrock ist alles dabei.

Und wie jede andere Art von Musik trägt die Kindermusik auch verschiedene Kleider: sie kommt als Pop, Rock, Raggae, Swing, Disco, Ballade, Schlager oder Tanzmusik daher.

Dabei fing alles überschaubar an. In Berlin formierte sich schon Ende der 1960er-Jahre das Grips-Theater. Birger Heymann und Volker Ludwig legten die Latte hoch und zeigten von Anfang an, dass Musik für Kinder auch politisch sein kann.

„Doof geboren ist keiner, doof wird man gemacht!“ legte den Finger auf die Wunde der Chancenungleichheit, denn Kinder aus reichen Familien haben viel leichteren Zugang zu Bildung als Kinder aus einkommensschwachen Familien.

Volker Ludwig traute sich auch Themen anzusprechen, die sonst keiner ansprach: „Meine Eltern sind geschieden“, „Wer sagt, dass Mädchen dümmer sind“ oder „Einer ist keiner“ sind heute Klassiker und waren damals Zündstoff.

Heutzutage reagieren Kinder auf das Lied „Einer ist keiner, zwei sind mehr als einer, aber sind wir erst zu dritt, machen alle andern mit“ mit der Frage: „Bin ich für mich allein denn nichts wert?“

Die Individualisierung samt der dazu gehörenden Bedürfnisse sind auch bei den Kindern angekommen. Gleichzeitig sind Vielfalt und Solidarität, die Bekenntnisse zur Verschiedenheit auch bei den Kinderliedermacher:innen präsent. Jede Menge Lieder zum Thema Inklusion und Miteinander werden geschrieben und gesungen.

Als Kinderliedermacher der ersten Stunde war auch Frederik Vahle politisch aktiv, sein Lied „Die Rübe“ kennen viele Menschen bis heute, es besingt das solidarische Zusammenhalten, wenn es ein Problem gibt.

Kindermusik: Die Rübe von Fredrik Vahle // HIMBEER
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Der erfolgreichste Kinderliedermacher ist zweifelsohne Rolf Zuckowski, sein Lied „Die Weihnachtsbäckerei“ wurde über Nacht zum Volkslied, viele andere seiner Lieder sind ein fester Bestandteil der Familienkultur. Dass er heute noch mitspielt und Gehör findet, sieht man an seinen Instagram-Posts „Geschichtenlieder aus dem Dachstübchen“.

Wer im Osten groß geworden ist, kennt die großartigen Lieder von Gerhard Schöne. Die Reise um die Welt in der Badewanne und die Geschichte von Jule, die sich nie wäscht, sind flächendeckend bekannt geworden.

Ebenso der „Traumzauberbaum“ von Rainhard Lakomy, der mit seiner Frau Monika Ehrhardt-Lakomy viele Lieder geschrieben hat, die bis heute bekannt sind und gerne gesungen werden. Als Texterin im Schatten des großen „Lacky“ wurde Monika 2019 für den Musikautor:innenpreis der GEMA nominiert.

Flieg, flieg, flieg!

Das Kinderlied ist die literarische Frühform, die sich zu uns in die Wiege setzt. Verschiedenste Liedformen und musikalische Stilarten werden zum ersten Zugang zu musikalischen Variantenreichtum, und gemeinsames Singen kann soziale, religiöse und sprachliche Barrieren überwinden.

Ein Kinderliederkonzert vermittelt wichtige Kulturtechniken, prägt die Bereitschaft sich auf etwas einzulassen und dem Wertschätzung entgegenzubringen. Kinderlieder sind Sachthemenvermittler und ein Spiegel der Lebenswelt der Kinder, sie stimulieren die Fähigkeit den eigenen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, durch das Zusammenwirken von Musik, Sprache und Körperausdruck werden Gefühle und Inhalte miteinander verbunden.

Suli Puschban und die Kapelle der guten Hoffnung Livekonzert // HIMBEER
© Suli Puschban

Vielleicht ist es die Fähigkeit des Kindes, magisch zu denken, die noch nicht abgeschlossene Entwicklung des Verstandes, die es dem Kind ermöglicht, die Welt mit anderen Augen zu sehen als ein Erwachsener. Die Welt um es herum lebt, das Kind ist Teil seiner Mitwelt.

Und für das Kind leben nicht nur die Menschen, Tiere und Pflanzen, auch der Staubsauger singt und hinter den Mülltonnen verstecken sich Geister. In Kinderliedern werden diese Themen aufgegriffen und darüber Geschichten erzählt. Die niemals enden wollende Popularität von Schlafliedern, passt ebenfalls in diese Reihe.

Kindermusik ist weit mehr als bloße Unterhaltung. Zahlreiche Studien belegen, dass kindgerechte Musik die kognitive Entwicklung, das Sprachvermögen und die sozialen Fähigkeiten von Kindern fördert. Kindermusik unterstützt die emotionale Intelligenz, Kreativität und das Selbstbewusstsein von Kindern.

Kinder, die frühzeitig mit Musik in Berührung kommen, zeigen häufig bessere schulische Leistungen und eine höhere soziale Kompetenz. Kindermusik ermöglicht es Kindern, ihre Emotionen auszudrücken und ihre Welt zu verstehen.

Mit kindgerechter und altersgerechter Sprache, eingängigen Melodien sowie Inhalten, mit denen Kinder sich identifizieren können, spielt sie eine wesentliche Rolle im Heranwachsen. Zwar mag es amüsant sein, wenn Kinder „Söffn Ju Äs Ey!“ mitsingen, doch zeigt dies deutlich, dass fremdsprachige Musik der Eltern nicht ihrer Entwicklung entspricht.

Darüber hinaus bietet Kindermusik zahlreiche pädagogische Vorteile. Sie unterstützt die Sprachentwicklung durch Wiederholung und Reimstrukturen, fördert das Verständnis von Rhythmen und Melodien und hilft Kindern, motorische Fähigkeiten durch Tanzen und Bewegung zur Musik zu entwickeln, um nur einige der vielen Aspekte der Bedeutung altersgerechter Musik für Kinder zu nennen.

Musik kann auch therapeutisch wirken, indem sie Stress abbaut und Kindern hilft, ihre Gefühle zu verarbeiten. Es gibt auch speziell für pädagogische Zwecke entwickelte Musik, die eine wesentliche Rolle in der frühkindlichen Bildung spielt und eine absolute Daseinsberechtigung hat. Für den pädagogischen Bereich wird eine eigene Form von Musik benötigt, die ihren Zweck erfüllt und Kindern hilft, spielerisch zu lernen und sich zu entwickeln.

Künstler:innen, die Kindermusik zu ihrem Beruf gemacht haben, sind diejenigen, die Kinderlieder schreiben, die dann in Kita, Schule oder Konzert gesungen werden. Bestes Beispiel ist „Heut‘ ist so ein schöner Tag – das Fliegerlied“ von Donikkl, ein Kinderlied, das es irgendwann bis auf die Wies‘n in München geschafft hat, weil es eingängig ist und Freude macht, entstanden ist es aber als Kinderlied, das einfache Bewegungen mit Singen verbindet: ich flieg flieg flieg, spring spring spring usw.

Dass das Lied Andreas Donauer aka Donikkl geschrieben hat, wissen die wenigsten, und dieses ist ja nur eines der vielen Kinderlieder, die Musiker und Produzent aus Bayern veröffentlicht hat.

Das Begrüßungslied

„Ich schreibe jetzt ein paar Begrüßungslieder!“, sagte ein junger angehender Kinderliedermacher zu unserem – viel zu früh verstorbenen – Kollegen Matthias Meyer-Göllner, „es gibt kaum welche.“ Dem blieb angesichts dieser Aussage der Mund offen stehen.

Matthias war Gründungsmitglied des Netzwerks Kindermusik, das es seit über zwanzig Jahren als losen Verbund von Kinderliedermacher:innen aus dem deutschsprachigen Raum gibt, das vor wenigen Jahren seine Geburtsstunde als eingetragener Verein erlebte und die einzige „Berufsvertretung“ der Kinderliedermacher:innen darstellt.

In dieser langen Zeit schrieb, erfand, performte, sang und spielte MMG, wie er bei uns liebevoll genannt wird, hunderte Lieder für Kinder, neben Konzerten gab er regelmäßig Fortbildungen für Erzieher:innen und Lehrer:innen, am gefragtesten ist das „Bewegungslied“, denn wie so viele andere, wissen auch Kinderliedermacher:innen, dass Musik und Bewegungen, seien es Gebärden, Hüpfen, hoch und runter, links und rechts, die linke und rechte Gehirnhälfte in Schwung und Austausch bringen.

Kindermusik im Kindergarten // HIMBEER
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Und jede Kinderliedermacher:in, die Musik für Kinder in der Kita macht, hat mindestens ein Begrüßungslied im Gepäck. Man könnte CDs füllen mit Begrüßungsliedern, in allen Formen, die erträumbar sind, mit Gebärden, Choreografien, Tänzen und mit verschiedenen Begrüßungsformen, in unterschiedlichen Sprachen. Wie kann es sein, dass jemand diese Schätze über Internet und sonstige Quellen nicht finden kann und zu dem Schluss kommt nur er selbst könne die Welt mit einem Begrüßungslied retten?

Das Netzwerk Kindermusik hat es sich, neben Vernetzung und Austausch der Liedermacher:innen selbst, zum Ziel gesetzt, das Kulturgut „Kinderlied“ zu hegen, zu pflegen und zu fördern sowie sich gegenseitig zu unterstützen statt im Konkurrenzkampf zu versacken. Jede Art von Musik, Ansatz und Einstellung sind hier vertreten, genau so wie die Klarheit um die gesellschaftliche Relevanz des Kinderliedes als Kulturgut und Zugang zu kultureller Teilhabe so wie es Gedichte, Skulpturen, Filme und Theaterstücke sind.

Kinderliedemacher:innen, die ihre Lieder live spielen, tragen eine immense Verantwortung, denn Kinder sind, wie alle Menschen, manipulierbar, ihnen auf Augenhöhe und mit Haltung zu begegnen ist mit das wichtigste in diesem Berufsfeld.

Es gibt viele Kinderliedermacher:innen im deutschsprachigen Raum, ein nicht unerheblicher Teil von ihnen lebt seit Jahren hauptberuflich von Musik für Kinder, viele sind ordentliche GEMA- oder AKM-Mitglieder:innen. Musik für Kinder hat viele Gesichter und in allen Ecken machen Kinderliedermacher:innen

Musik für Kinder in allen Altersklassen, von Kita über Grundschule bis zum Familienrock, alles ist möglich. Nicht alle Kinderliedermacher:innen kommen durch eigene Kinder mit dem Thema in Berührung, es braucht Witz, Charme, Fantasie und den Kontakt mit dem eigenen inneren Kind.

Geschlechtersensible Kindermusik

Interessanterweise fällt in der Kinderliederszenerie auf, dass sich, ganz anders als in der Pädagogik, die Verteilung von Frauen und Männern umgekehrt proportional darstellt. Von den Musikschaffenden für Kinder sind 80 Prozent Männer und 20 Prozent Frauen – eine Schätzung, versteht sich. Den Beruf der Musikerin, die ihr Geld mit Konzerten und Produktionen für Kinder verdient, scheinen immer noch weniger Frauen zu ergreifen.

Wie überall ist die „Kindermusik“ ein Spiegel der „Erwachsenenmusik“, denn selbst die vielen Singer-Songwriterinnen haben fast immer männliche Musiker hinter sich, Bands im TV sind fast immer Männer-besetzt. Sind Frauen als Berufsmusikerinnen, die keine Sängerinnen sind, doch noch eine Ausnahme?

Zudem scheint es als wären Frauen eher in der Verbindlichkeit, im Miteinander, eher in der Kita als in der Grundschule unterwegs. Rockerinnen, die mit E-Gitarren posen, sind eher selten. Sind die Kinderliedermacherinnen zu brav, wollen sie keine Reibung erzeugen? Aber wenn das „Private politisch” ist , dann darf es doch auch ein Kinderlied sein, darf Räume öffnen, Themen aufgreifen, die gesellschaftlich relevant sind, mit dem Fuß aufstampfen und Forderungen stellen à la Pippi Langstrumpf.

Kindermusikerin Suli Puschban // HIMBEER
HIMBEER Gastautorin – Kinderliedermacherin Suli Puschban © Anja Mey

Ich könnte nun weit ausholen und von den Erfahrungen von Frauen im Beruf „Musikerin“ berichten, denn Frauen ergreifen diesen Beruf nicht mit der breitbeinigen Selbstverständlichkeit ihrer männlichen Kollegen, Erzählungen von systhematischem Sexismus sind auch hier allen Orten zu hören. Auch Frage nach dem „Gendern“ im Kinderlied ist bei uns ein Thema und wird häufig diskutiert.

Aber natürlich gibt es sie: Christiane Weber, Beate Lambert, Margit Sarholz von Sternschnuppe, Simone Sommerland oder Kid Clio. Mittlerweile mischen auch Kinderlieder-Influencerinnen mit.

Kati Breuer oder Lucia Ruf erreichen über ihre Social Media Kanäle tausende Erzieher:innen und Lehrer:innen, die immer auf der Suche nach Musik und Reimen sind, die sich für Morgenkreis oder Musikunterricht eignen, und hier kann ein Lied, das ganz mit ganz wenig Text oder gar „la la“. daherkommt der erste Zugang für ein Kind, das der deutschen Sprache noch nicht mächtig ist, zu kultureller Beteiligung sein, Hand in Hand mit anderen Kindern.

Moderne Kinderlieder

Das moderne Kinderlied allerdings ist das Kinderlied, das auch Erwachsene lieben. Kaum ein Flyer oder Werbebanner kommt ohne den Schriftzug „Kindermusik, die auch Eltern gefällt“ aus. Wen würde es wundern: Eltern gehen mit ihren Kindern in Konzerte und kaufen Merch-Artikel und – immer seltener – CDs.

Kindermusik: Deine Freunde // HIMBEER
Kindermusik von Deine Freunde © Michi Schunck

Deine Freunde, drei Hip-Hopper aus Hamburg, haben mit ihrer Musik gezeigt, wie es gehen kann: sie erschließen Konzerthallen, sie präsentieren ihre Familienshow mittlerweile für tausende Menschen. Das ist beeindruckend, zumal ihre Konzerte keine Musicals sind oder einem roten Faden folgen, sie haben keine Story, keine Figuren, sind einfach ein Konzert für die ganze Familie, in dem alle vor und zum Zuge kommen.

Kindermusik füllt Konzerthallen: Deine Freunde live // HIMBEER
Kindermusik füllt Konzerthallen: Deine Freunde live © Marco Sensche

Niemand kann „Family Talk“ so gut wie Deine Freunde: „Du bist aber groß geworden“, oder „Ich zähl bis drei mein lieber Freund“ und, mein persönlicher Lieblingssong „Nachtisch“ sind nur drei Beispiele von Liedern, die Sätze aufgreifen, die alle kennen.

Ähnlich machen es die poppigen 3Berlin, Diane, Carsten und Toby, alle drei in Berlin geboren, die ebenfalls in die Familien reinhören und daraus Lieder machen wie „Reden ist Gold“ oder „Mach ich einfach morgen“ aus ihren Alben „Nicht von schlechten Eltern“.

Zu jedem Song haben sie sich eine:n Kinderliedermacher:in eingeladen, um zusammen Lieder zu schreiben. Sogar Volker Ludwig war dabei. Und da wird es wieder spannend: Das Genre-überspannende Miteinander der Künstler:innen findet Widerhall auf der Familiencouch.

Kindermusik-Konzert im Milchsalon: Unter meinem Bett // HIMBEER
Erfolgreiche Kindermusik-Reihe: Unter meinem Bett-Konzert im Milchsalon © Henning Heide

Eine der erfolgreichsten Produktionen aus diesem Feld stellt „Unter meinem Bett“ dar, Liedermacher:innen, die sonst für Erwachsene produzieren, schreiben jetzt mal einen Song für Kinder.

Macht das deutlich, dass das Kinderlied an sich und auch die Kinderliedermacher:innen einen „schlechten Ruf“ haben? Öfter als einmal sagten Eltern nach Konzerten zu mir: „Ich wusste gar nicht, dass es solche Konzerte für Familien gibt!“

Die Liedermacherin Astrid Hauke aus Bielefeld, die als Lieselotte Quetschkommode bekannt wurde, singt mit ihrem jungen Publikum „Come on, let’s move, come on let’s groove, come on let’s go!“

Die Kinder und Jugendlichen lassen sich nicht lange bitten, ob Deutsch oder Englisch, sie lieben es gefordert zu werden, das ist auch meine Erfahrung, auch ich hänge die sprachliche Latte gerne hoch. Der Übergang von den Kinderliedern, die sie aus der Kita kennen zur Popmusik ist schnell gemacht, Musik mit altersgerechten Texten, Geschichten und Refrains im Pop-, Rock- oder Reggae-Stil gibt es daher immer öfter.

Bielefeld, die Stadt über die immer gewitzelt wird, ist eine wahre Goldgrube für Kindermusik. Randale, die erfolgreiche Band, die Hardrock für Kinder macht, kommt von dort, Faryna mit ihrer tollen Stimme, die den Spagat Lehrerin und Kinderliedermacherin zu sein hinlegt, das eine befruchtet das andere, ebenso wie die Löffelpiraten und KrAWAllo, die sich Familienpop auf die Fahnen geschrieben haben.

Und das nicht erst seit gestern: an der Spitze der Rockbands für Kinder stehen die Blindfische aus Oldenburg, die das schon seit über zwanzig Jahren betreiben. Musikkabarett, das als Rockkonzert daherkommt. Es gibt immer etwas mitzusingen, mitzumachen und mitzufiebern. Wenn beim Fußball-Lied der Gitarrist den Ball spielt, der Schlagzeuger das Tor ist und der Bassist der Spielkommentator, dann rastet das ganze Publikum aus.

Nachdem das erste Tor gefallen ist, steht das Tor selbst beleidigt in der Ecke. Der Kommentator: „Wo ist das Tor?“ Die Kinder: „Es schmollt!“ Ein Spiel mit Musik und Sport wie man es sich lustiger nicht vorstellen kann. Das alles begleitet von erstklassiger Musik, die die Kinder – pädagogisch ausgedrückt – in ihrer rechten Gehirnhälfte hält und Ganzheitlichkeit automatisch mitliefert.

Ein Vorkämpfer und mittlerweile Altmeister der Kindermusik ist Geraldino aus Nürnberg, einer der witzigsten und buntesten Performer unseres Genres, nicht nur was seine Bühnenoutfits angeht. Viele CDs hat er produziert, Videos gemacht, Konzerte gespielt, aber auch zwanzig Jahre lang einen Kinderliederpreis ausgerichtet, der jedes Jahr die drei besten Songs zu einem Thema prämierte und mit viel Liebe dem Kinderlied eine Plattform gegeben hat.

RADAU!, die Rockband aus Hamburg hat ebenso vor vielen Jahren mit dem Slogan „Garantiert blockflötenfrei!“ auf sich aufmerksam gemacht. Sie spielen auch schon mal im kompletten Feuerwehrmann-Outfit und verwandeln den ganzen Saal in eine zu löschende Party. Oder Pelemele aus Köln, die den Pop‘nRoll erfunden haben und alle Kinder zum ausrasten bringen.

Aber auch die Kollegen Jens Brix und Christoph Clemens aka Ich&HerrMeyer sind ein bemerkenswertes Duo, sie haben von Anfang an Radio-taugliche Hits produziert, singen aber nicht nur „Alles ist drin“, sondern verfolgen dies auch mit ihrem Schulprojekt „Zukunftsmusik“ zum Thema Nachhaltigkeit.

 

Ob Partymacher oder Regenwaldbesucher, die Kinderliederlandschaft erstreckt sich von Bayern bis Hannover. Unmada – Manfred Kindel – ist durch die ganze Welt gereist und hat Lieder aus dem Regenwald zu uns gebracht, ein Kulturvermittler im besten Sinne, der niemals belehrend oder einem eurozentristischen Ansatz des „Ich-weiß-es- besser“ daherkommt, eher wie einer der zuhört und mitsingt.

Genauso macht es das Projekt Karibuni, Weltmusik für Kinder, die vielfältig ist und Themen wie „Wie lebe ich Frieden?“, „Was bedeutet Freiheit?“ aufgreift und in verschiedenen Sprachen daherkommt.

Mai Cocopelli ist eine Kinderliedermacherin aus Österreich, die nicht nur großartige CDs rund um „Yoga für Kinder“ gemacht hat, sie war eine der ersten, die ihre Lieder von Orchestern begleiten ließ und mit zwanzig und mehr Kindern auf der Bühne Ukulelen-Konzerte spielte.

Viele der Kinderliedermacher:innen, die ich kenne, sind wahre Künstler:innen und haben als solche Zugang zu unsichtbaren Welten. Solche Menschen werden von Kindern geschätzt und geliebt, es gibt eine wahrnehmbare Verbindung, die von unschätzbarem Wert ist, sie vermitteln Lebensqualität und Tiefe, haben Kontakt zu Feinstofflichem, einen lebendigen Draht zum Publikum und halten das innere Kind am Leben.

Sie beziehen Kinder und Erwachsene ein, stellen Fragen, lassen mitsingen und mitmachen, es gibt kein richtig oder falsch, sie sind witzig, nachdenklich und eröffnen Räume, in Verbindung mit Pädagog:innen, die dies in ihrer täglichen Arbeit aufgreifen, entstehen Welten.

Die Aufzählung ließe sich lange fortsetzen: das Kindermusiktheater Lila Lindwurm versorgt seit über dreißig Jahren Kita und Schulkinder mit Liedern zu allen Themen von Umweltschutz bis Mobbing, Stephen Janetzko hat in seiner Laufbahn über sechshundert Lieder erfunden und veröffentlicht regelmäßig Themen-CDs von „Piratinnen“ bis „Einschlaflieder“.

Ferri aus Frankfurt organisiert nicht nur jedes Jahr ein sensationelles Festival mit dem er seit Jahren unzählige Kinder mit Workshops und Konzerten beglückt, von ihm ist auch der „Gummibar“, den so viele Kinder kennen.

Birte Reuver aus Hamburg hat eine Ukulele-Schule herausgebracht in denen man vom Ein-Akkord-Lied bis zum Vier-Akkord-Lied einen lockeren Einstieg ins Land der „kleinen Gitarre“ findet, mit Sicherheit kennen viele Kinder und Erzieher:innen das Lied von den „zwei kleinen Schlangen“, die immer „bss bss bss“ machen, erfunden hat es Wolfgang Hering, der jede Menge Bücher mit Kinderlieder veröffentlicht, seine eigenen, aber auch die von vielen Kolleg:innen.

Keiner kann Lieder schreiben, die durch Einfachheit und Tiefe bestechen wie Robert Metcalf: „Du hast einen Kopf zum Denken, du hast ein Herz zum Lieben, du hast eine Stimme, um ein Lied zu singen, ein lautes Lied oder ein leises Lied, wie dieses!“ ist nur ein Beispiel seiner Genialität.

Auf der Bühne steht er als geborener Brite mit seiner Melone auf dem Kopf, er lebt seit über dreißig Jahren in Berlin, ist ganz die Ruhe selbst, die Kinder hängen an seinen Lippen, oft begleitet er seine Songs mit Gebärden. Mit viel Poesie besticht Toni Geiling aus Halle, der mit seinem „Berglied“ Turnhallen voller Kinder zum Singen bringt und ohne jede coole Rockerpose dabei auskommt.

In Österreich musizieren das Duo RatzFatz mit bestechender Musikalität und viel Witz, sie lassen Kinder mitmusizieren, Kiri Rakete, eine junge Kollegin aus Wien reißt mit griffigen Refrains ihr Publikum mit und fordert es mit sprachlicher Ausgefeiltheit in den Strophen ihrer Lieder.

Kindermusik aus Österreich: Kiri Rakete // HIMBEER
Kindermusik aus Wien © Kiri Rakete

Super fetzig und ein echter Knaller ihr Lied „Baustelle“, das spielerisch einfach gendert, ohne dass es auffällt, denn Pauline hat eine Mischmaschine und Opa Fritz eine Walze ohne Sitz, alle zusammen singen: „Schieb schieb, schraub schraub, schaufel schaufel, heb!“

Die vielen, tollen Kolleg:innen, die ich hier nicht aufzählen kann, werden es mir hoffentlich verzeihen, der Text hätte alsbald Überlänge und kein Mensch würde ihn im digitalen Textermüdungszeitalter mehr lesen. Ach ja, wer hat Anteil an Sprachvermittlung, Spracherwerb und und Sprachkompetenz? Genau, Kinderlieder und damit ihre Erfinder:innen!

Ist ja nur für Kinder!

Im Radio hören wir all dies nur äußerst selten, im Gegenteil: Ein Kinderradio nach dem anderen wird abgeschaltet und eingestampft. Zuletzt der KiRaKa des WDR und davor der KAKADU von Deutschlandradio Kultur.

In Berlin trällert immerhin Radio Teddy für Kinderohren, davon sind weit mehr als die Hälfte Songs aus den Charts, aber ansonsten schließt sich das Zeitfenster für Kindermusik doch schnell. Ruck zuck werden Kinder zu Konsument:innen der Erwachsenenmusik.

Rolf Zuckowski ist einer der finanziell erfolgreichsten Künstler in Deutschland, er saß in der Jury für den GEMA- Musikautorenpreis 2019, der nach acht Jahren wieder einmal das Genre „Kindermusik“ aufgriff, zuletzt hatte den Preis 2011 Gerhard Schöne bekommen.

Trotzdem wirkt Kindermusik wie das ungeliebte Stiefkind der Musik und wird nicht genug anerkannt und gefördert, mediale Aufmerksamkeit erfährt es kaum. Als mir der Preis verliehen wurde, sagte ein Mitglied aus dem GEMA-Vorstand zu mir, er hätte gar nicht gewusst, dass es „sowas“ gäbe. Musik ist das Hauptgeschäft der GEMA, warum weiß sie nichts über Kindermusik? Es scheint oft so zu sein: nicht so wichtig, ist ja nur für Kinder!

Es wirkt fast so als wäre die Welt der Kindermusik verborgen zwischen den Ritzen der Wege, die Kultur geht. Junge Eltern behaupten auch jetzt noch, es gäbe keine Kindermusik, die ihnen auf langen Autofahrten zuzumuten sei.

Dass das nicht mehr wahr ist, lässt sich durch Recherche leicht herausfinden, von Herrn Jan über Bummelkasten bis Sukini spannt sich der Bogen spannender Musik für die ganze Familie.

Sukini, die ehemals als Rapperin Sookee auf sich aufmerksam machte und dann in die Kindermusik wechselte, zeigt wie sich Hip Hop und politisch-feministisch- queere Haltung mit Entertainment vereinbaren lassen. Gerade wurde sie für ihr Lied „Meine Mamas“ mit dem Weberlein, dem Kinderliederpreis der Christiane-Weber-Stiftung, ausgezeichnet.

Aber auch in Musikschulen vermitteln ausgebildete Lehrkräfte unserem Nachwuchs landauf landab Musik indem sie Kinderlieder benutzen, die von Kinderliedermacher:innen geschrieben wurden. Wer sich am Nachmittag in eine Musikschule setzt, erfährt durch Beobachtung nicht nur was für einen riesigen Anteil diese Musiker:innen an der musikalischen Bildung und am Zugang zur selbstgemachten Musik haben, sondern wird Kinderlieder durch diese oder jene Tür erklingen hören.

Kinder brauchen Musik, Musik aller Art, vom einfachsten Fünfton-Lied für Einjährige bis zum fetzigen Rocksong für Zwölfjährige, die sich noch nicht den fragwürdigen Deutschrappern zuwenden, deren Weltbild alles andere als Lebensfreude und Solidarität ausstrahlt. Und diese Musik sollte ihren festen Platz im Radio haben, denn sie erzählt von Themen, die für Kinder relevant sind.

Ein Kopf voller Träume

Wir Kinderliedermacher:innen singen für und mit Kindern, wir vermitteln kulturelle Werte von Frieden und Freiheit. Wir haben Spaß, Fanstasie und ein Miteinander in der Tasche, regen zum Mitmachen und Mitdenken an und brauchen Unterstützung, damit es in der Zukunft noch Konzerte für die ganze Familie geben kann, vom Krusenkoppel in Kiel bis zum Theater in Tirol, von den Bühnen an der Nordsee bis zum Ukulelenkonzert in Wien.

Wir haben Poesie, Rap, Rock, Folk, Singsang und Tralala, Schlagzeug, Gitarren, Stimmen, Bewegung und Vielfalt im Gepäck. Alles was ein Kind braucht, um phantasievoll eine Burg zu bauen, beherzt einen Song zu schmettern, verträumt summend in der Ecke am Schulhof zu sitzen oder begeistert eine Freundin in ein Konzert zu schleppen.

Kindermusik zum Träumen, Abschalten, Spaß haben // HIMBEER
EIn Kopf voller Träume – Die Welt der Kindermusik © Getty Images, Unsplash

Die Welt der Kindermusik ist klein, eine Nische, und riesig, ein Ozean zugleich. Wer sie erforscht, wird staunen. Wer sie vernachlässigt, stellt der Kindheit einen Totenschein aus. Lasst Kinder doch Kinder sein, die Pubertät zieht sie früh genug auf die „dunkle Seite der Macht“, wo Hormone ihren Tribut fordern und Eltern den letzten Nerv rauben.

Bis dahin: gebt ihnen Musik, die für sie gemacht ist, mit altersgerechten Texten in angemessener Darreichungsform in ihrer ganzen Vielfalt. Was bringt Lebensfreude, Optimismus und Hoffnung: „Ein Kopf voller Träume, ein Herz voller Mut!“

Alle Künstler:innen des Netzwerks Kindermusik sind zu finden auf: kindermusik.de
Mehr über Suli, ihre Musik und die aktuellen Konzerttermine erfahrt ihr unter sulipuschban.com

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