Wahl 2017: BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN im Interview

Kindergeld, Kita-Plätze, Beruf und Familie: Am 24. September wählen wir den Bundestag. HIMBEER hat bei verschiedenen Parteien nachgefragt, was sie in Sachen Familienpolitik auf der Agenda haben.

ALLGEMEINE FRAGEN

Wie definiert Ihre Partei Familie?
Für uns ist Familie überall da, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen. Familien sind inzwischen so vielfältig wie das Leben selbst: Es gibt verheiratete Paare mit Kindern, Alleinerziehende, Patchwork-Familien, nichteheliche Familien, Regenbogenfamilien, Pflegefamilien oder Familien ohne Kinder. Wir machen eine Politik, die Familien in allen Formen und Modellen unterstützt. Deshalb sorgen wir z.B. dafür, dass die finanzielle Absicherung von Kindern und Familien nicht länger vom Lebensmodell der Eltern abhängt.

Was sind die wichtigsten familienpolitischen Vorhaben in der kommenden Legislaturperiode?
Wir finden, es gibt in den drei großen Bereichen, „Familienförderung“, „Kinderbetreuung“ und „mehr Zeit für die Familie“ noch sehr viel zu tun.
Mit unserem Familien-Budget wollen wir alle Familien entlasten, vor allem aber Familien mit geringem und mittlerem Einkommen. Die Bekämpfung der Kinderarmut ist uns besonders wichtig. Wir werden die Kinderregelsätze erhöhen, einen einkommensabhängigen Kindergeld-Bonus für Familien mit geringem Einkommen und für alle Familien eine einkommensunabhängige Kindergrundsicherung einführen.
Da die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben weiterhin eine der größten Herausforderungen für Familien ist, wollen wir u.a. mit der KinderZeit Plus das Elterngeld weiter entwickeln, es deutlich ausweiten und flexibilisieren. Die KinderZeit Plus kann genommen werden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind.
Außerdem werden wir die in den nächsten Jahren die fehlenden Kita-Plätze schaffen und die Qualitätsstandards gesetzlich festlegen.

Wie könnten die unzähligen familienpolitischen Maßnahmen besser gebündelt und aufeinander abgestimmt werden?
Mit unserem Familien-Budget schnüren wir ein großes Reformpaket, das zahlreiche Schwachstellen bei der Familienförderung angeht. Es besteht aus drei Reformteilen.
– Mehr Geld für alle Familien, die Leistungen der Grundsicherung erhalten: Die Regelsätze für Kinder in der Grundsicherung müssen so hoch sein, dass sie den tatsächlichen Bedarf verlässlich absichern. Die Bedarfe müssen tatsächlich gedeckt werden, auch die zur Teilhabe am sozialen Leben, an Bildung, Kultur und Mobilität, soweit diese nicht durch Infrastruktur-Angebote gedeckt werden.
– Mehr Geld für Familien mit geringem Einkommen. Mit dem Kindergeld-Bonus garantieren wir, dass Kinder in Familien mit geringem Einkommen und Alleinerziehende bekommen, was sie zum Leben brauchen. Der Bonus ist so hoch, dass der Mindestbedarf des Kindes wie im Unterhaltsrecht (nach Lebensalter) gedeckt ist. Eltern mit geringen Einkommen erhalten den Kindergeld-Bonus in voller Höhe. Bei höheren Einkommen der Eltern wird der Betrag abgeschmolzen. Der Bonus wird automatisch ausgezahlt. Damit wird jedes dieser Kinder zuverlässig erreicht.
Mit dem „Kindergeld-Bonus“ können sie verlässlich aus der Grundsicherung ausscheiden.
– Mehr Geld für Familien mit mittlerem Einkommen und damit eine gerechtere Familienförderung. An die Stelle von Kindergeld und Kinderfreibeträgen tritt bei diesen Familie die Kindergrundsicherung, die das Kindergeld und die Kinderfreibeträge ersetzt. Dadurch erhalten Eltern mit kleinen und mittleren Einkommen für ihre Kinder endlich die gleiche Unterstützung wie Eltern mit hohen Einkommen.

Familienpolitik | HIMBEER Magazin

ARBEITSWELT

Welche Konzepte verfolgt Ihre Partei, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen?

Wie lässt sich von staatlicher Seite eine partnerschaftlichere Aufteilung der Familienaufgaben zwischen Eltern unterstützen, die nicht mit Ablauf der Elternzeitmonate endet, welche Arbeitszeitmodelle  halten Sie für umsetzbar?

Die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist weiterhin eine der größten Herausforderungen für Familien, nach wie vor allem für Frauen. Wir wollen dafür sorgen, dass Eltern nicht die Puste ausgeht. Viele Unternehmen haben die Herausforderung erkannt und angefangen, Arbeitszeit neu zu denken und innovative Konzepte für ihre Belegschaften zu entwickeln. Solche Wege wollen wir unterstützen: mit einer flexiblen Vollzeit, die es Beschäftigten ermöglicht, freier zu entscheiden, wie innerhalb eines Korridors von 30 bis 40 Stunden ihre persönliche Vollzeit aussieht; mit einem Rückkehrrecht auf die ursprüngliche Stundenzahl nach einer Phase der Teilzeit; mit einem Recht auf Home Office als Ergänzung zum festen Arbeitsplatz sowie mit einer PflegeZeit, die hilft, die Sorge für einen nahestehenden Menschen mit dem Beruf besser zu vereinbaren.

Mit einer gezielten Förderung von Familien durch unser Konzept KinderZeit Plus verbessern wir die Lage von Familien. Mit der KinderZeit Plus entwickeln wir das Elterngeld weiter und machten es möglich, auch nach dem ersten Geburtstag des Kindes phasenweise die Arbeitszeit zu reduzieren. Familien bekommen damit mehr Beweglichkeit. Denn es sind nicht nur die Kleinsten, die ihre Eltern brauchen. Die KinderZeit Plus kann genommen werden, bis die Kinder 14 Jahre alt sind. So bekommen auch Eltern mit geringem Einkommen mehr Spielraum, um sich Zeit für ihre schon etwas größeren Kinder zu nehmen. In der KinderZeit Plus erhält jeder Elternteil acht Monate finanzielle Unterstützung – weitere acht Monate können frei zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Damit verlängern und flexibilisieren wir das heutige Elterngeld deutlich und schaffen einen Rahmen, der die partnerschaftlichere Aufteilung der Familienaufgaben unterstützt.

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FINANZEN

Wie kann eine größere Steuergerechtigkeit für Familien hergestellt werden, unabhängig davon, ob die Eltern miteinander verheiratet sind?
Indem wir dafür sorgen, dass die Familienförderung nicht mehr daran hängt, ob jemand verheiratet ist oder nicht, und auch nicht davon ob, er/sie getrennt-, allein oder gemeinsam erziehend ist. Alleinerziehende und Familien ohne Trauschein werden im Steuerrecht benachteiligt. Der Kindergeld-Bonus für Familien mit niedrigem Einkommen und Alleinerziehende garantiert, dass Kinder bekommen, was sie zum Leben brauchen. Die steuerlichen Kinderfreibeträge werden in eine Kindergrundsicherung für alle Kinder zusammengefasst. Das fördert zukünftig alle Kinder gleich und entlastet Familien mit geringen und mittleren Einkommen. Zudem reformieren wir das Splitting (s. nächste Antwort).

Befürworten Sie eine Abschaffung des Ehegattensplittings zugunsten eines Familiensplittings, wie würde dieses ausgestaltet werden?
Nein, denn ein Familiensplitting schafft neue Ungerechtigkeiten und lässt Gutverdiener-Familien viel stärker profitieren als Familien mit kleinem Einkommen. Für neu geschlossene Ehen ersetzen wir das Ehegattensplitting durch einen übertragbaren Grundfreibetrag. Alle Paare, die heute verheiratet sind, werden wählen können zwischen dem alten Ehegattensplitting (inkl. Kindergeld/Kinderfreibeträgen) und der neuen Kindergrundsicherung ohne Splitting. Für diejenigen, die eine neue Ehe schließen, gilt die Kindergrundsicherung. Damit werden so gut wie alle Familien besser gestellt, aber keine schlechter.

Wie positioniert sich Ihre Partei zum Thema Grundeinkommen für Kinder?
Unsere Vorschläge eines bedarfsdeckenden Kindergeld-Bonus für Alleinerziehende und Familien mit kleinem Einkommen sowie einer Kindergrundsicherung, die Kindergeld und Kinderfreibeträge ersetzt, sind inspiriert von der Debatte um das Grundeinkommen.

Wie ließe es sich vermeiden, dass geringverdienende Eltern – in vielen Fällen Alleinerziehende – , die nur aufgrund ihrer Kinder ALG2 beziehen, sich regelmäßig vor dem Jobcenter verantworten müssen, was eine zusätzliche Belastung neben Job und Familienalltag bedeutet?

Eltern, die zwar genug verdienen, um ihr eigenes Existenzminimum zu sichern, die aber nicht das ihrer Kinder sichern können, haben zusätzlich zum Kindergeld Anspruch auf den Kinderzuschlag. Kindergeld und Kinderzuschlag reichen aber zusammen nicht einmal aus, um das sächliche Existenzminimum von Kindern zu decken. Eltern mit kleinen Einkommen werden so auf die Fürsorge-Leistungen verwiesen. Dies werden wir ändern: Teil unseres Familien-Budgets ist der Kindergeld-Bonus. Den einkommensabhängigen Kindergeld-Bonus sollen Eltern mit geringen Einkommen zusätzlich erhalten. Er soll das sächliche Existenzminimum unbürokratisch und ohne Antrag garantieren. Eltern mit geringen Einkommen erhalten den Kindergeld-Bonus in voller Höhe. Bei höherem Einkommen der Eltern wird der Betrag abgeschmolzen. Dadurch werden künftig sehr viele Eltern mit geringem Einkommen den Bezug von Transferleistungen wie dem ALG 2 vermeiden.

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ALLEIN- UND GETRENNT ERZIEHENDE ELTERN

Welches Umgangsmodell halten Sie im Normalfall für erstrebenswert, wenn sich Eltern trennen?

Wie können getrennt lebende Eltern, die dies möchten, dabei unterstützt werden, ein Doppelresidenzmodell mit den damit einhergehenden höheren finanziellen Belastungen und eingeschränkten Arbeitskapazitäten zu verwirklichen?

Wir finden es wünschenswert, wenn nach Trennung und Scheidung beide Eltern weiterhin Verantwortung für ihr gemeinsames Kind tragen und sich entsprechend um ihr Kind kümmern. Daher haben wir uns auch für die gemeinsame elterliche Sorge als gesetzlichen Regelfall eingesetzt. Auch die Berufstätigkeit beider Elternteile finden wir angesichts der scheidungsbedingten Kinder- und Familienarmut, aber auch aus der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit durchaus positiv. Wie sich die Eltern diese Verantwortung im Alltag aufteilen und dabei ihren Kindern gerecht werden, ist eine komplexe Frage und individuell zu beantworten.

Wir wollen kein Modell, auch nicht das Doppelresidenz- oder Wechselmodell, als gesetzlichen Regelfall verankern. Für uns ist in jedem einzelnen Fall das Kindeswohl maßgeblich.
Der Bundesgerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Anordnung des Wechselmodells gegen den Willen eines Elternteils schon heute möglich ist, aber unter engen Voraussetzungen. Wir teilen die Einschätzung, dass ein Wechselmodell mehr Kommunikation und Kooperation zwischen den Eltern erfordert und diese für das Wohl des Kindes auch gesichert sein muss.
Diskutiert wird gegenwärtig, ob die aktuelle Gesetzeslage im Unterhaltsrecht in den Fällen, in denen der getrennt lebende Elternteil mehr als das übliche Maß an Umgang und Betreuung übernimmt, aber keine hälftige Betreuung übernehmen kann, Probleme bereitet. Hier wollen wir untersuchen, wie neue Berechnungswege des Unterhalts eine finanzielle Existenz beider Elternteile sichern könnten.

Grundsätzlich finden wir, dass unser Familien-Budget, unsere KinderZeit Plus und unsere Investitionen in den Ausbau der Kindertagesbetreuungsangebote und Ganztagsschulen die Rahmenbedingungen, vor allem für Eltern, die das Doppelresidenzmodell leben wollen, erheblich verbessert.

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BEZAHLBARER WOHNRAUM

Wohnraum in Innenstädten ist für normalverdienende Familien immer schwerer zu finanzieren – welche Maßnahmen können dieser Entwicklung entgegenwirken?
Wir wollen die Rechte von Mieterinnen und Mietern stärken und deren Verdrängung aus den Innenstädten verhindern. Dazu braucht es eine funktionierenden Mietpreisbremse ohne Schlupflöcher und Ausnahmen und eine deutliche Senkung der Umlage von Modernisierungskosten auf die Miete. Außerdem wollen wir deutlich mehr bezahlbare Wohnungen in unseren Städten neu bauen. Mit der von uns vorgeschlagenen Neuen Wohnungsgemeinnützigkeit könnten in den nächsten zehn Jahren eine Million zusätzliche dauerhaft günstige Wohnungen in den Städten und Ballungsräumen errichtet werden. Davon würden vor allem Familien mit mittleren und kleinen Einkommen profitieren. Familien, die Anteile an Wohnungsgenossenschaften erwerben, wollen wir finanziell unterstützen.

 

BILDUNG

Kostenlose Bildung von der Krippe bis zumSchulabschluss – wann können Eltern und Kinder damit rechnen bzw. ist dieses Ziel Teil Ihrer Agenda?

Welche Wege würden Sie beschreiten, um beim Ausbau von Betreuungsplätzen im Kindergarten- und Grundschulalter die Qualität der Betreuungseinrichtungen zu sichern?

Welchen Stellenwert messen Sie freien Trägern im Bildungsbereich – Kita wie Schule – zu?

Mit uns wird es endlich ausreichend und vor allem wirklich gute Kita-Angebote und Schulen geben. Unser Ziel sind gute Kitas überall. Bis 2020 fehlen nach aktuellen Berechnungen rund 350.000 Angebote für Kinder bis zum Schuleintritt. Die Bundesregierung hat sich bisher nur an der Finanzierung von weiteren 100.000 Angeboten beteiligt. Wir werden den bedarfsgerechten Ausbau finanzieren.

Standards für die Qualität wollen wir gesetzlich festlegen – damit Erzieherinnen und Erzieher ausreichend Zeit für die Kinder, für Vor- und Nachbereitung und Elterngespräche haben. Kinder sollen ab dem zweiten Lebensjahr bis zur Einschulung einen Rechtsanspruch auf ein ganztägiges Angebot frühkindlicher Bildung und Betreuung bekommen.

Grundsätzlich ist unser Ziel, beitragsfreie Bildung von Anfang an zu ermöglichen– so auch in Kitas. Da es aber noch vielerorts an Angeboten mangelt und die Qualität so verbesserungsbedürftig ist, wollen wir zunächst sicherstellen, dass keinem Kind wegen der Kita-Gebühren der Zugang zu Bildung verwehrt wird. Wir wollen deutlich mehr Ganztagsschulen schaffen, um weiterhin gute Betreuung zu gewährleisten bzw. einen Anspruch auf Hortbetreuung schaffen. Der Bund soll dafür mit den Ländern zusammenarbeiten dürfen und diesen Ausbau mitfinanzieren (Abschaffung des Kooperationsverbots).

Das Wunsch- und Wahlrecht in der Kinder- und Jugendhilfe und damit auch in der Kindertagesbetreuung ist für uns grundsätzlich sehr wichtig. Um dies zu gewährleisten, braucht es vielfältige Angebote von unterschiedlichsten Trägern. Im Schulbereich unterstützen wir die Vielfalt freier Träger auch. Freie Schulen haben das Schulsystem immer wieder mit Neuerungen und Initiativen bereichert. Wir halten die Praxis der Länder aber für richtig, für die Kosten nicht im gleichen Umfang aufzukommen wie bei den öffentlichen Schulen. Darin sehen wir keine Schlechterstellung der privaten Träger, denn die öffentlichen Schulen müssen in der Fläche das Basisangebot für alle bereithalten, während freie Träger sich aussuchen können, wo und in welcher Kooperation sie welches Schulangebot machen.

 

Die Fragen beantwortete Franziska Brantner, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik von BÜNDNIS 90 / Die Grünen.

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Interview: Anja Ihlenfeld und Eva Schneider

Bildnachweise:
Wahlplakate © Bündnis 90 / Die Grünen
© Alexander Dummer, Unsplash
© Ryan Fields, Unsplash
Porträt  Franziska Brantner © Bündnis 90 / Die Grünen

Unter diesen Links findet ihr auch die Antworten der anderen Parteien: DIE LINKE, FDP, CDU/CSU, PIRATEN. Von den Parteien SPD und AfD blieb die Interview-Anfrage unbeantwortet.

Details könnt ihr im Wahlprogramm der Grünen nachlesen. Die einzelnen Positionen der Parteien könnt ihr über den Wahl-O-Maten vergleichen.

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