Wie Kinder durch Großeltern wachsen. Und umgekehrt. Drei Familien, drei Geschichten über die Bindungen zwischen den Generationen und welche Bedeutung diese haben.
Sie sind Ruhepole, Geschichtenerzähler:innen, Möglichmacher:innen. Die Großeltern unserer Kinder. Im besten Fall gehen sie ohne Erwartungen, sondern mit einer Art gelassener Präsenz auf die Kinder ihrer Kinder zu: kein Druck, nur Genuss. Und deswegen werden sie oft abgöttisch geliebt.

Indem sie mit dieser Art für ihre Enkelkinder Räume öffnen, in denen ein bisschen langsamer gelebt werden darf – oder spielerischer, entsteht über die Zeit etwas, das keine Generation so leicht alleine schafft: eine ganz besondere Art von Bindung und Vertrauen.
Kein selbstverständliches Miteinander
Für viele Familien ist dieses Miteinander längst nicht selbstverständlich, die Beziehung zu der älteren Generation nicht ohne Probleme. Wer aber seine Eltern oder Großeltern in der Nähe und ein gutes Verhältnis zu ihnen hat, kann auf etwas zählen, das heute selten geworden ist: Verlässlichkeit im Alltag. Arbeit, Umzüge, steigende Wohnkosten oder neue Familienformen sorgen oft dafür, dass Generationen weit voneinander leben. Nähe wird damit also zu etwas ziemlich Kostbarem.

Drei Familien, drei Geschichten
Wie viel diese Verbindung bedeuten kann, zeigen drei Familien auf ganz unterschiedliche Weise. Opa Jörg aus Hamm in Nordrhein-Westfalen, der nach dem Tod seiner Frau einmal pro Woche seine Enkel:innen von der Kita abholt und sie mit in seinen Alltag mitnimmt.
Oma Christine in Berlin, Mammo genannt, die mit ihrem Mann ihr Zuhause für Kinder, Großkinder und Freund:innen jeglichen Alters öffnet, als wäre es das Normalste der Welt. Und Katja in der Nähe von Hamburg, deren 87-jährige Großmutter mittlerweile im Haus der Familie lebt, in einem Alltag voller Geduld und Momenten des voneinander Lernens
Was die Forschung zeigt
Expert:innen aus Entwicklungspsychologie und Soziologie bestätigen in zahlreichen Studien, was bei dem gelebten Alltag schon spürbar wird: Kinder, die regelmäßig und in vertrauensvoller Beziehung mit Großeltern oder sogar Urgroßeltern aufwachsen, entwickeln ein stabiles Selbstwertgefühl, mehr Empathie und ein sichereres Bindungsverhalten.
Emotionale Anker
Die Entwicklungspsychologin Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut (DJI) beschreibt Großeltern als „emotionale Anker im Meer familiärer Veränderungen“. Ihre Forschung zeigt: Je kontinuierlicher und liebevoller der Kontakt, desto stärker erleben Kinder Geborgenheit; selbst dann, wenn Eltern durch Beruf, Krankheit oder Trennung stark gefordert sind.

Eine Langzeitstudie des DJI von 2023 belegt zudem, dass Kinder mit aktiver Großelternrolle emotional ausgeglichener und resilienter sind. Sie lernen, dass Beziehungen Bestand haben, auch wenn sich Lebensumstände ändern.
Andere Altersbilder
Die Soziologin Silke van Dyk von der Uni Jena ergänzt noch, dass das generationale Miteinander ein Schlüssel sei, um Altersbilder zu verändern: Kinder, die ihre Großeltern als neugierig, tatkräftig und lebensfroh erleben, entwickeln ein anderes Verständnis vom Älterwerden – eben nicht als Abbau, sondern als Erfahrung und Selbstverständlichkeit des Lebens.
Und der amerikanische Gerontologe Karl Pillemer weist darauf hin: „Kontakt zwischen Generationen ist eines der wirksamsten Mittel gegen Einsamkeit und Altersdiskriminierung – auf beiden Seiten.“ So wird Großelternschaft zu mehr als nur praktischer Unterstützung. Sie wird eher zu einer Kraft, die Bindung, Vertrauen und Lebensfreude über Generationen hinweg weitergibt.
Mittwochs mit Opa Jörg
Louisas Lieblingstag liegt definitiv mitten in der Woche. Denn am Nachmittag wartet Opa Jörg schon am Kindergartenzaun auf ihren kleinen Bruder Joshua und sie. An so einem Nachmittag heißt es dann eintauchen in Opas Welt: gemeinsam spazieren gehen, sich dabei über Hausfassaden unterhalten oder sehr gern auch über Stromkästen, denen sie auf dem Weg begegnen.

Denn Elektrizität ist eins der Lieblingsthemen an diesen Tagen. „Das ist alles eine Wissenschaft“, benennt es die kleine große Louisa ganz stolz. Oft wird auch Holz gesägt und ein bisschen bei Opa gewerkelt. Er bezieht die Enkel:innen bei allem ein, was er selber zu machen hat, sei es Wäsche waschen oder das Pause-machen-Ritual, wenn er als Diabetiker sein Insulin misst.
Die Kinder lieben diese gemeinsame Welt, in die sie Opa mit seiner Art mitnimmt. „Er hat diese Ruhe …“, sagt Louisas Mutter Kybelle. Er erklärt die Welt auf seine eigene Weise, und Louisa hört ihm zu wie niemand anderem.

Seit Louisas Oma vor drei Jahren plötzlich verstorben ist, hat Opa Jörg die Nachmittage von Adelheid, genannt Oma Alice, übernommen. Und damit viel mehr als nur eine kleine Aufgabe. Er trägt auch ihr Wertegerüst weiter. Obwohl er selbst noch arbeitet, entlastet er die gesamte Familie an diesem einem Tag, macht auch die Care-Arbeit und bringt abends die Kinder ins Bett.
Seine Schwiegertochter Kybelle weiß, dass diese Zeit für ihn selbst auch kostbar ist, schließlich unterstützt er seine eigene Mutter, die Uroma, auch gerade noch nach Kräften. Kybelle kann so an einem Tag der Woche ganz ohne Zeitdruck bis spät abends ihrer Arbeit nachgehen.

Sie liebt das Gefühl, dass ihr Schwiegervater „einfach da ist“ und empfindet dies als extrem entlastend. Generell darf für ihren Mann und sie die Enkel-Großeltern-Beziehung so sein, wie sie ist.
Heißt: Opa soll das gerne so machen, wie er es möchte und für richtig hält. „Ich glaube, deswegen funktioniert es auch nur so wunderbar!“, ist sich Kybelle sicher.
Für Opa Jörg selbst ist diese Zeit ein Geschenk: „Es ist wunderschön mitzuerleben, wie aus den kleinen Babys junge Menschen werden. Wenn man dann ein kleiner Teil davon sein darf – was will man mehr?“, schwärmt er. Kybelle schätzt die absolute Verlässlichkeit. Der kontinuierliche Kontakt und die tragende Bindung sei eine große Bereicherung für alle.

Auch ihr Mann Alex schätzt an dieser Beziehung vor allem die familiäre Wärme. Ihn begeistert, dass sein Vater seine Opa-Rolle mit Herz lebt und dass der Familie ohne ihn etwas sehr Wichtiges fehlen würde.
Louisa, Joshua und ihr Opa sind ein hervorragendes Beispiel dafür, was Forschende wie Sabine Walper seit Jahren beobachten: Großeltern sind emotionale Anker. Sie vermitteln Beständigkeit in einer Welt, die sich für Kinder oft zu schnell dreht.
Ein Zuhause mit vielen Stimmen
Wenn man bei Christine klingelt, dauert es nie lange, bis Schritte über den Flur eilen. Mal öffnet sie selbst, mal steht schon eine Enkelin da, und meistens duftet es nach etwas Frischem aus der Küche.
Drei Kinder, sieben Enkel, und fast immer ist jemand da. „Manchmal sind wir zwanzig Leute in der Wohnung – Kinder, Freund:innen, sogar Freundinnen von meiner Tochter. Manchmal wird’s chaotisch, aber mein Mann und ich genießen das so sehr. Ich glaube, ich bin dafür geboren, Großmutter zu sein“, lacht die 61-jährige.

Christine und ihr Mann lebten einige Zeit im Ausland, auch mit ihren drei Töchtern, die lange weit verstreut waren. „Das war ein ewiges Hin und Her. Ich saß eigentlich nur noch im Flieger. Von einer Tochter zur nächsten“, erinnert sie sich. Ständig war sie in Begleitung von dem Gefühl, überall ein bisschen zu fehlen. Dann kehrten nach und nach alle wieder nach Berlin zurück.
Nun, mit all ihren Kindern und Enkelkindern in der selben Stadt wohnend, sagt Christine strahlend: „Das ist echt unser großer Luxus.“. Besonders zur ältesten Tochter Linnie, die mit ihren beiden Töchtern Ella und Milou nur ein paar Straßen weiter lebt, ist Christines Kontakt sehr eng. „Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir uns nicht sehen“, verrät Linnie.

Und während sie das sagt, kuschelt sie sich liebevoll an ihre Mutter. Viele kleine Bewegungen der beiden miteinander erzählen unglaublich viel über ihr inniges Verhältnis.
Und Christine fügt hinzu: „Ich verbringe schon unglaublich viel Zeit mit den Enkeln und auch einfach mit den Familien. Also ich habe das große Glück, dass ich jederzeit willkommen bin. Das ist also ein riesengroßes Glück für mich, weil es auch nicht selbst- verständlich ist, dass es dann mit den Partnern klappt.“

Für die Enkelinnen sind Oma und Opa – Mammo und Pappo genannt – nun ein selbstverständlicher Teil des Alltags. Die Kids gehen alleine zur Schule und flitzen danach rüber zu Oma und Opa rüber. Und wenn Linnie oder ihr Mann Nico mal länger arbeiten müssen, schlafen Ella und Milou unter der Woche bei ihnen.
Ella mag sehr, wenn Oma dann ein Buch vorliest (es muss immer dasselbe sein!) und sie selbst dabei so herzlich lacht, dass man die Geschichte kaum mehr versteht. – „Aber du kennst ja jede einzelne Geschichte schon in- und auswendig!“ kommentiert sie auch jetzt mit schallendem Gelächter.
Im Hintergrund rumpelt irgendwas, alle reden durcheinander, es klingelt wieder an der Haustür, kaum versteht man noch sein eigenes Wort. Ein herrliches Gewusele von Vielen. Alltag. So wird aus der Wohnung, die nur für zwei angedacht ist, ein Ort, an dem Generationen ineinander übergehen.

Genau das, was Entwicklungspsychologin Sabine Walper als „lebendige Beziehungserfahrung“ beschreibt. Sie sagt: „Über Generationen weitergegebene Zuwendung ist ein Schutzfaktor. Sie stärkt Vertrauen und Selbstwert.“
Vier Generationen unter einem Dach
Wie tief und gleichzeitig herausfordernd Generationenverbindungen sein können, zeigt Katja, 33, die mit ihrem Mann Niklas und den drei Kindern Noah (11), Sienna (10) und Theo (3) auf dem Land bei Hamburg lebt.
Unten im Haus wohnt nämlich auch noch Omi Karin. Sie ist 87 Jahre alt.

Doch kurz einmal zurückgespult: Omi ist eigentlich Ur-Omi. Denn sie ist Katjas Großmutter. Katjas Mutter stirbt, als Katja gerade mal drei Jahre alt ist. Anstatt sich mit Ende 50 so langsam auf die Aussicht vorzubereiten, entspannt in Rente zu gehen, adoptieren ihre Großeltern die Dreijährige. Gemeinsam gehen sie durch all das, was an Herausforderungen zu meistern ist.
Und diese enge Bindung bleibt auch später stark. Als ihnen das Leben in der Großstadt zu eng wird, zieht Katja mit Mann und Kindern aufs Land. Auch Omi zieht in die Nähe und hat zu ihren Urenkel:innen eine liebevolle Beziehung – sie verbringt viel Zeit mit ihnen und ist für die Familie lange die Zuverlässigkeit in Person.

Heute, seit etwa drei Jahren, ist alles ganz anders. Jetzt kümmert sich Katja gemeinsam mit ihrem Ehemann um die Frau, die sie damals großgezogen hat. Nach der Diagnose Demenz ist Karin zu ihrer Enkelin ins Haus gezogen. Anfangs unterstützt sie Sienna noch regelmäßig bei den Hausaufgaben; inzwischen jedoch benötigt sie selbst konstante Begleitung. „Sie braucht einen Rollator. Doch durch ihre Demenz vergisst sie ständig, dass sie den Rollator braucht“, lächelt Katja.

Aber neulich hat sie mit Theo ein Buch über Eisbären angeschaut. Am nächsten Morgen hat sie ihm aus ihrer Deko-Kiste einen kleinen Eisbären geschenkt. „Da wusste ich: Irgendwas bleibt doch manchmal noch hängen.“, lächelt sie. „Wir versuchen das alles, auch die herausfordernden Situationen, immer mit Humor zu nehmen, auch wenn die Verantwortung manchmal ganz schön viel ist“, kommentiert Katja verschiedene Geschehnisse aus ihrem gemeinsamen Alltag, in denen man allein beim Zuhören ganz gespannt die Luft anhält.
Als Theo neulich zu Omi sagte: „Mein Papa ist stärker als du!“, antwortete diese trocken: „Der ist ja auch viel älter als ich!“. Katja lächelt liebevoll: „Diese Momente sind mir so viel wert. Denn die Kinder lernen superviel. Sie lernen Verständnis dafür aufzubringen, dass die Dinge sind, wie sie sind.“
Niklas und sie erklären den beiden Älteren Omis Krankheit. Natürlich geht es dabei auch darum, Geduld zu haben, um Verantwortung, aber auch um Empathie. „Ein schmaler Grat, das kindgerecht zu machen“, gibt sie zu. Aber: „Wir wollen sie nicht abschirmen. Sie sollen daran wachsen.“

Katja erzählt, dass ihre Omi sie oft beim Backen oder Marmelade einkochen mit ihrer eigenen Mutter vergleichen würde: „Das schmeckt so, wie sie meine Mama gemacht hat.“ Das sind die Momente, wenn sich ein unsichtbarer Kreis über vier Generationen schließt. „Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen“, sagt Katja. „Ich glaube, das braucht man in jeder Lebensphase, dieses Dorf.“
Warum das Band der Generationen heute zählt
Die tschechische Forscherin Zuzana Talašová beschreibt Urgroßeltern als emotionale und symbolische Brücken zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Sie halten Familiengeschichten lebendig, selbst wenn Erinnerung fragil wird. „Kinder erleben über ihre Urgroßeltern Familiengeschichte als etwas Lebendiges – nicht nur erzählt, sondern gefühlt“, ergänzt die portugiesische Wissenschaftlerin Laura Pereira.
Gerade in einer Zeit, in der Familien oft über Städte und Kontinente verstreut leben, bekommt dieses Miteinander eine neue Bedeutung. Arbeit, Wohnortwechsel oder Trennungen lassen die Generationen seltener selbstverständlich zusammenleben. Umso kostbarer werden die Inseln des Miteinanders: die Nachmittage bei Opa, die spontanen Nachmittage bei Mammo, das Frühstück mit Uroma. Sie erinnern daran, das Zugehörigkeit nicht an einem Ort hängt, sondern an Menschen, die füreinander da sind.
Soziologin Silke van Dyk nennt dieses Miteinander das „Beziehungskapital“ – das, was Gesellschaften zusammenhält, wenn Strukturen bröckeln. Groß- eltern, sagt sie, schaffen Erfahrungsräume jenseits von Tempo und Zweck. „Großelternschaft ist keine Pflicht, sondern Begegnung“, sagt sie. „Und Begegnung braucht Zeit.“
Auch Karl Pillemer, Gerontologe an der Cornell University, sieht im generationenübergreifenden Kontakt mehr als fami- liäre Fürsorge. Seine Studien zeigen, dass Kinder und ältere Menschen, die regelmäßig Kontakt haben, seltener Einsamkeit und Stresssymptome entwickeln – und häufiger berichten, ihr Leben als „sinnerfüllt“ zu erleben.
Diese Erkenntnisse treffen mitten ins Heute. Denn das Bedürfnis nach echten Bindungen wächst; nach Beziehungen, die bleiben, wenn Pläne sich ändern. So sehen wir an Christine, Opa Jörg und Omi Karin, wie unterschiedlich Nähe zwischen Generationen aussehen kann und auch, was sie bewirken kann.
Die alltäglichen Begegnungen sind das, was zählt: ein gemeinsames Frühstück, ein Satz, ein Blick, ein bisschen Kuscheln.
Dort entsteht das, was Gesellschaft braucht, um zusammenzuhalten: Miteinander, sich begegnen und Vertrauen lernen.
In den Begegnungen liegt das Weitergeben von Erfahrungen, von Werten, von Lebensfreude. Kinder lernen, dass Alter kein Stillstand ist, sondern Teil des Lebens. Erwachsene entdecken, dass Fürsorge nicht endet, wenn Kin- der groß werden. Und Großeltern erfahren, dass sie gebraucht bleiben: nicht als Helfer:innen, vielmehr als Herzstücke von Familie.
Die Momente festhalten
Die Fotos sind teilweise bereits vor einiger Zeit bei Shootings mit den dokumentarischen Familienfotograf:innen Cindy Villmann und Kay Hallfarth entstanden, die besondere und alltägliche Familienmomente ungestellt festhalten. Ein solches Shooting ist auch eine schöne Geschenkidee mit bleibendem Wert. Das Fotograf:innenpaar kommt dann zu euch oder den Großeltern nach Hause und begleitet sie bei den Momenten mit ihren Enkel:innen. cindyundkay.de
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