STADTGESTALTEN München: Powerfrauen wie Günes Seyfarth braucht das Land! Frauen, die die Dinge anpacken, Spaß am Gründen haben und bei allem Stress, den das Leben als Mutter, Gründerin, Geschäftsfrau mit sich bringt, gelassen und gutgelaunt bleiben.
Mael ist gerade aufgewacht. Der kleine Mann reckt und streckt sich. Er schaut mit seinen kleinen Knopfaugen ganz verschlafen aus dem Kinderwagen seine Mama an. Wo bin ich, scheint er sie zu fragen. Um Mael herum sind Stühle und Tische. Große Glühbirnen hängen von der Decke herunter, grinsen ihn an. Komisch? Sein Kinderzimmer ist das nicht. Stimmt.
Er ist im „Bald Neu“ – einem Café in Giesing (Anmerkung der Redaktion: leider inzwischen dauerhaft geschlossen). Aber das beunruhigt Mael nicht. Auch wenn seine Mama Günes Seyfarth, die Gründerin des Online-Flohmarktes „Mamikreisel“, gerade ein Interview gibt. Sie lächelt, nimmt ihren Sohn auf den Arm und stillt ihn – ganz einfach und ganz nebenbei.
So nebenbei wie Günes Seyfarth den „Mamikreisel“ gegründet hat. Im September 2012 hatte sie die Idee, einen kostenlosen Online-Flohmarkt zu starten, einen interaktiven Treffpunkt für Menschen mit Kind. Nur sieben Wochen später ist er bereits Teil des grenzenlosen World Wide Webs. Ein Portal, bei dem sich alles rund ums Kind dreht. Bei dem man Gebrauchtes verkaufen, verschenken, aber auch kaufen und tauschen kann.
Dazu noch Forum und Blog für Mamas, Papas und Paare, die Nachwuchs erwarten. „Ich hatte einfach keine Lust mehr, auf Kinderflohmärkte zu gehen, auf denen Mütter zu Bestien werden, im Kampf um die schönsten und günstigsten Kleider für ihre Kinder“, sagt Seyfarth.
Und als ihr dann auch noch Susanne Richter, die Geschäftsführerin von „Kleiderkreisel“ (heute „Vinted“), erzählt, dass immer mehr Mamas ihr Online-Portal verlassen, weil im Forum fast nur noch über Partys, Frisuren und coole Typen geredet wird, da ist für Günes Seyfarth klar: Der „Mamikreisel“ muss her.
Gesagt, getan: Das Konzept ist schnell geschrieben, der Bau einer entsprechenden Internetseite verläuft ebenfalls sehr unkompliziert. Der „Kleiderkreisel“ packt tatkräftig mit an. Dazu noch eine relativ repräsentative Umfrage in der Kinderkrippe ihres ältesten Sohnes Mateo sowie im eigenen Freundeskreis. „Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Eltern so interessiert“, sagt Seyfarth. Und schon dreht sich der Kreisel.
Das ist nun 18 Monate her. Mittlerweile tummeln sich monatlich drei Millionen Mamas und ein paar Papas auf dem Online-Flohmarkt, bei dem man ohne Stress und Gerangel nach kleinen und großen Schätzen für sich und den Nachwuchs suchen kann. Knapp 130.000 Mitglieder umfasst die Community von Mamikreisel, die im Blog oder Forum munter diskutiert. Unterstützt wird Günes Seyfarth von Ela Dollinger (eine gute Freundin) und drei weiteren freien Mitarbeiter:innen, die sich Projekte ausdenken, bei denen die User:innen eigene Ideen mit einbringen können – wie „Papa des Monats“, spezielle Pausenbrot-Aktionen oder die „Held:innen des Alltags“.
Rezepte und Bücher werden vorgestellt, familientaugliche Geheimtipps für Hamburg, Berlin, Köln oder München verraten, über Stress in der Schule gesprochen oder einfach nur nach gebrauchten Dingen gesucht – in Form von Kinderwagen, Kleidung, Rädern, Schuhen, Spielzeug, Möbeln oder Kinderbetten.
„Mit Mamikreisel wollen wir einen alternativen Konsum möglich machen, uns für Nachhaltigkeit einsetzen“, erklärt Seyfarth und meint: „Gleichzeitig haben wir eine Online-Heimat für Mamas geschaffen, in der Alleinerziehende, Schwangere, Regenbogen-Familien, Öko-Mamas und super gestylte Posh-Muttis zusammen treffen und miteinander reden. Das ist einfach schön.“
Die Mama von Günes Seyfarth war allein, als sie vor knapp 40 Jahren die Türkei verließ. Im Gepäck eine Tasche mit einem Sommerkleid. „So ging sie von Anatolien nach Deutschland “, verrät Seyfarth, „um dort zu arbeiten. Das war sehr mutig.“ In Nürnberg endet schließlich ihre Reise – und die von Günes beginnt: Nach dem Abitur absolviert Seyfarth zunächst eine Ausbildung zur Tanzlehrerin. Sie will weiter, studiert Betriebswirtschaftslehre in Nürnberg. „Damit ist man beruflich nicht so festgelegt“, meint sie.
Nach dem Studium lebt Seyfarth für ein paar Monate in New York. Kurz darauf folgt sie ihrer großen Liebe namens Hauke, zieht 2006 nach Mühldorf und arbeitet in München für einen Online-Vermarkter. „Ich bin immer gerne in Bewegung. Das habe ich vielleicht von meiner Mama“, sagt Günes Seyfarth und gibt zu: „Außerdem liebe ich Großstädte. Und ich war sehr froh, als wir 2008 von Mühldorf nach München gezogen sind.“
Mateo (4,5 Jahre alt), Malik (2,5) und Mael (drei Monate) kommen dort zur Welt. Zwischendrin gründet sie mit anderen Eltern die Kindertagesstätte „Karl & Liesl“ – mit 54 Kindern eine der größten in München. Und seit Herbst 2012 dreht sich der „Mamikreisel“, immer schneller und schneller. Doch damit nicht genug: Momentan denkt Seyfarth über die Gründung einer privaten Schule nach. „Ich liebe Gründen“, sagt sie, „außerdem sollen meine Kinder nicht in dieses stressige und starre Bildungssystem gepresst werden.“
Daran verschwendet Mael gerade nicht einen einzigen Gedanken. Er liegt wieder im Kinderwagen, hat seine kleinen Knopfaugen geschlossen und schläft. Seine Mama wird ihn und alles andere schon schaukeln …