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Kaiserschmarrn – I like!

Vaterkolumne HIM – Familienurlaube sind in Zeiten von Smartphone und YouTube nicht mehr das, was sie einmal waren. Unser Kolumnist Christoph Bauer geht gerne offline.

Eine Woche raus, mit der Familie in die Berge, in unser Lieblingshotel nach Bad Gastein. Da, wo sich einst Kaiser Wilhelm vom Herrschen, Sigmund Freud von den Frauen und Falco vom Koksen erholt haben, suchen wir in unserem Lieblingshotel Zuflucht vor Termin-Terror, Fensterpost und digitalem Multitox.

Doch dass man einen Familien-Urlaub tatsächlich offline schaltet, scheint so gut wie ausgeschlossen, seit sich die Fremdherrschaft des Smartphones bis in die Kinderzimmer und das Breitband bis ins Gasteiner Tal ausgebreitet haben.

Wo es den besten Kaiserschmarrn gibt – Familienurlaub im Haus Hirt in Bad Gastein // HIMBEER
© Haus Hirt

Nun ist die große Tochter seit letztem Jahr auch noch offiziell Teenager und lässt seither kaum eine Gelegenheit aus, uns mit Nachdruck immer und immer wieder daran zu erinnern. Ihr härtestes Schwert im Kampf gegen das niederträchtige und sie grausam unterdrückende Elternpack ist: das Handy. Auch auf dieser Reise ihr wichtigster Begleiter.

Eine Stunde, nachdem der Intercity den Hauptbahnhof Richtung Süden verlassen hat, postet der Teenager auf Instagram das erste Duckface-Selfie. Dabei schweift der Blick verträumt an der Kamera vorbei, im Hintergrund die weite, menschenleere Landschaft, die am Fenster des rasenden Zuges vorbeieilt. Diese kreativ-gestalterische Meisterleistung wird von der Followerschaft innerhalb kürzester Zeit mit 140 Likes und unzähligen Herzchen-Emojis gefeiert.

Reisen mit Kindern – Zugreisen: Berliner Hauptbahnhof // HIMBEER
© Markus Winkler, Pexels

Mir schwillt der Kamm. Ich versuche mich von der Schönheit der vorbeirasenden Landschaft besänftigen zu lassen und verteile ein paar Likes in der Schatztruhe meiner Valencia-gefilterten Erinnerungen. Früher, als wir noch mit dem Auto gen Süden reisten, waren es Krümel, Kotze und Knatsch, die das Reisen mit den Kindern zur nervlichen Herausforderung machten. Herrlich! I like!!!

Und als wir noch selbst unangeschnallt auf der kunstledernen Rücksitzbank saßen und der Vater die Rothändle in Kette rauchte, da gehörte so ein saftiger Stau unter der brütenden Sonne der A8 doch zum feierlichen Prolog einer wirklich großen Urlaubserfahrung. Cool!!!!!!! Aufgepeitscht vom Zucker der Caprisonnen und Manner-Schnitten den kleinen Bruder mit Kniffen quälen. Amazing!!!!!!!!!!!!!!!! Voll krass, voll anders heute.

Kolonne mit Krümel, Kotze und Knatsch??? No way, Baby!!!!!!!!!!!!!!!!! Inzwischen reisen wir, zumindest innerhalb Europas, am liebsten mit dem Zug. Die Kinder beherrschen den Umgang mit Messer und Gabel, Gleichgewichtssinn und Verdauungstrakt arbeiten souverän zusammen und der Knatsch gedeiht prächtig und mausert sich nach und nach zum ausgereiften Generationenkonflikt.

„Jetzt ist dann aber mal Schluss mit den Handys!“, faucht die Frau – just in dem Augenblick, als die unglaublich spannenden Klatschspalten ihres bevorzugten Klatschmagazins leer gelesen sind und sie von der „mal wieder empörend schlechten Modestrecke“ aus der Konzentration gerissen wird. „Ich guck‘ nur noch kurz den Film zu Ende“ zwitschert die Jüngere und sorgt mit gekonntem Augenaufschlag und freundlichem Dur-Tonfall für einen überraschenden Burgfrieden auf den Sitzen 72 bis 75.

Die Alpen schieben sich machtvoll in mein Panorama und mit ihnen betritt Gerhard Polt die Bühne meiner Erinnerung und sein sommerurlaubender Erwin Löffler in „Man spricht deutsch“: „Leider muss ich dir das so sagen, aber wenn man sieht, dass eine Sache genetisch versaut ist, das kann man mit Prügeln allein nicht korrigieren.“ LoL!!!!!!

Familienurlaub in Österreich – Herbstlicher Ausblick auf die Gasteiner Berge // HIMBEER
Wo Christoph gerne den besten Kaiserschmarrn der Welt genießt – mit Blick auf die Gasteiner Berge. © Gasteinertal Tourismus GmbH

Ich kompensiere meinen derben bayerischen Humor mit der Besinnung auf den großen dänischen Erziehungsguru Jesper Juul und möchte natürlich wissen, welcher Film meine Tochter gerade so in seinen Bann zieht. Der Film ist ein Video.

Der Star ist ein YouTuber: Julienco. Unglaublich glatt, unglaublich unwitzig, unglaublich talentfrei, über drei Millionen Abonnenten: „Einen wunderschönen guten Tag und herzlich Willkommen zu meinem neuen Video! Heute werden wir mal wieder was extrem Krasses machen …“ Krümel, Kotz, Knatsch! „ … ich werd‘ heute mal mit kochendem Thermalwasser die Gasteiner Sonate von Schuberth gurgeln, also die Melodie halt. Und dann werd‘ ich wirklich für immer meine Fresse halten. Ist das geil? Wenn ihr das auch cool findet, gebt mir ’nen Daumen nach oben!“

Der Daumen zeigt nach oben, als wir zwei Tage später bei strahlendem Sonnenschein die Poserhöhe erklimmen. Ich poste auf Instagram mein erstes Duckface-Selfie dieses Urlaubs. Dabei schweift mein Sonnenbrillen-Blick verträumt an der Kamera vorbei, im Hintergrund ein gigantisches Alpenpanorama und davor meine Töchter, die gerade den besten Kaiserschmarrn der Welt verzehren. Offline. I like it! LoL!!!!!!

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