© Petites Lunettes

Adleraugen – mit Brille

Immer mehr Kinder werden immer früher und immer stärker kurzsichtig, also myop. Kinder-Optometristin Carolin Hahn gibt im Gespräch Auskunft über die Gründe und erklärt das Myopie-Management mit Brillengläser, die das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bremsen. Sie sind das neueste und non-invasivste Tool im Instrumentenkoffer von Augenspezialist:innen.

Auch wer nicht in Berlin lebt und live bei Petites Lunettes vorbeischauen kann, kann aus dem Gespräch mit der Spezialistin einiges Wissenswertes für die Wahl der Brille fürs Kind, die Erkennung und Behandlung von Sehschwächen und -fehlern erfahren.

Bis 2050 rechnen Wissenschaftler:innen mit fünf Milliarden kurzsichtigen Menschen, das ist die Hälfte der Weltbevölkerung.

Die Ursachen und Gründe für die rasante Ausbreitung der Myopie (Kurzsichtigkeit) sind vielfältig: kurzsichtige Eltern und Großeltern, viel drinnen sein, Mangel an Tageslicht und die vermehrten Tätigkeiten im Nahbereich – wie Lesen oder die Nutzung digitaler Geräte.

Petites Lunettes bei Lunettes Selektion // HIMBEER
© Petites Lunettes

Uta Geyer, Gründerin von Lunettes Selection, ist sehr motiviert, diese Entwicklung zu ändern. An ihrem Charlottenburger Standort hat sie im Souterrain zusammen mit Künstlerin Raby Fofana und der Kinder-Optometristin Carolin Hahn einen eigenen Bereich für kleine Besucher:innen geschaffen: Petites Lunettes.

Die Kinder-Optometristin

Carolin Hahn ist Augenoptikerin und Optometristin. In ihren ersten Berufsleben war sie Kommunikations- und Markenstrategin. Nach zehn Jahren in dieser Branche wagte sie den Neuanfang und ließ sich zur Augenoptik-Gesellin ausbilden.

Es folgte das Optometrie-Studium an der Hochschule für Technik (BHT). Hier kam sie auch in Kontakt mit der Kinderoptometrie, ihrem Forschungsschwerpunkt „Myopie-Management“ und mit Initiativen, wie der VFWK, die sich u.a. der Förderung der visuellen Wahrnehmung bei Kindern verschrieben haben und für die sie noch heute ehrenamtlich arbeitet.

Carolin Hahn, Kinder-Optometristin bei Petites Lunettes // HIMBEER
© Petites Lunettes

Was macht eine Kinder-Optometristin?

Als Kinder-Optometristin bin ich zwischen einer klassischen Augenoptikerin und Augenärztin einzuordnen. Ich habe das fachliche Wissen und die handwerkliche Fähigkeiten einer Augenoptikerin – kann Sehteste durchführen, Kontaktlinsen und Brillen anpassen, aber auch Löten und Schleifen. Gleichzeitig habe ich mir in meinem Studium medizinisches und tiefergehendes Fachwissen angeeignet.

Das testen der Augen wird zum lustigen Quiz, Petites Lunettes Berlin // HIMBBER
Brille ja oder nein? © Su Ikes

Als Kinder-Optometristin wende ich dieses Spezialwissen in kindgerechten Testverfahren an und berate Eltern zu allen Themen rund ums Sehen ihres Kindes. Dafür habe ich häufig mehr Zeit als die meisten Augenärzt:Innen.

Wann sollten sich Eltern zum ersten Mal an eine:n Expert:in wenden?

In der Theorie sollten die U-Untersuchungen sicher stellen, dass das Kind gut und altersgerecht sieht. Meine Erfahrung ist leider eine andere. Das Sehvermögen und die Sehfunktionen werden eher grob untersucht und häufig wird zu spät, erst im Schulalter, erkannt, dass das Sehen des Kindes nicht ideal ist.

Messinstrumente // HIMBEER
© Su Ikes

Sollten beide Elternteile oder auch nur ein Elternteil stark kurz- oder weitsichtig sein oder sie Anzeichen einer Sehschwäche bei ihrem Kind erkennen, dann ist ein Termin bei einem:einer Augenarzt:ärztin oder Kinder-Optometrist:in ratsam.

Was sind erste Anzeichen einer möglichen Sehschwäche beim Kind?

Es gibt diverse Anzeichen, die auf eine Sehschwäche hindeuten und bei denen Handeln gefragt ist. Generell muss von Kind zu Kind unterschieden und natürlich das Alter berücksichtig werden:

  • Babys ab drei Monaten: anhaltendes Schielen bzw. Wegklappen von einem Auge oder beiden, dann bitte schnell zum:zur Augenarzt:ärztin oder Kinder-Optometrist:in. Bei einem Neugeborenen ist das noch normal, die Koordinationsfähigkeit ist noch nicht entwickelt.
  • Kleinkind: möchte keine Bücher anschauen oder holt sich Bücher, Bauklötze ganz nah ans Gesicht. Die Motorik oder Feinmotorik ist nicht altersgerecht ausgeprägt. Das Kind läuft nicht oder nur unsicher. Der Kopf wird schräg gehalten.
  • Vorschul-/Schulkinder: Augen reiben, Augen zukneifen, schnelles Ermüden, Unkonzentriertheit, geringe Abstände beim Lesen und Schreiben, Kopfschmerzen, Schwierigkeiten beim Abschreiben von der Tafel, Verwechseln von Farben.
  • Systemische Erkrankungen wie Diabetes oder Syndrome wie Trisonomie 21 oder eine frühe Geburt machen sich oftmals auch an den Augen bemerkbar. In diesen Fällen ist eine frühzeitige und genaue Untersuchung der Augen von großem Vorteil.

Was hat sich in den letzten Jahren maßgeblich verändert in den Bereichen: Kinder-Optometrie-Forschung, Technik oder Material?

Die größte Errungenschaft der letzten fünf Jahre sind sicher die Brillengläser zum Bremsen der Kurzsichtigkeit. Sie sind das neueste und non-invasivste Tool im Instrumentenkoffer des Myopie-Managements.

Brille ja oder nein? Werkstatt Petites Lunettes // HIMBEER
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Diese Gläser werden mittlerweile von fast allen größeren Glashersteller:innen angeboten und funktionieren nach einem ähnlichen Prinzip. Mittig wirkt die volle Fernkorrektion, zum Beispiel -2 dpt. Damit kann das Kind super die Tafel sehen oder einen auf sich zukommenden Ball. Um diesen Fernbereich sind Kreise, Waben oder andere Formen angeordnet, die weniger starke Werte tragen.

Bei einem herkömmlichen „Minus-Glas“ wird auch Licht hinter die Netzhaut projiziert. Das regt das Auge zum Wachstum in die Länge an, wodurch das Kind noch kurzsichtiger wird.

Mit einem Myopie-Glas passiert das nicht. Das Licht wird durch die Segmente stärker gebrochen und vor oder auf die Netzhaut projiziert.

Was versteht man unter Myopie-Management?

Myopie-Management versucht der rasanten Ausbreitung der Kurzsichtigkeit mit unterschiedlichen Vorgehensweisen entgegen zu wirken:

  • Verhaltensänderung: mindestens zwei Stunden pro Tag Draußenzeit. In einigen asiatischen Ländern wurde das sogar institutionalisiert mit Sport- unterricht und Unterricht im Freien.
  • Medikamentöse Behandlung: Die Atropin-Therapie ist die besterforschteste, aber invasivste Methode. Das Kind bekommt jeden Abend 0,01- bis 0,1-prozentige Atropin-Lösung getropft. Das Längenwachstum des Auges wird dadurch um 50-60 Prozent gehemmt. Nebenwirkung sind Lichtempfindlichkeit, brennende Augen, Sehprobleme in der Nähe.
  • Kontaktlinsen: Hier gibt es diverse Varianten. Spezielle Myopie-Linsen, Mehrstärkenlinsen oder Nachtlinsen. Auch diese Methode ist gut erforscht. Eltern und Kind müssen den Umgang und die Pflege der Kontaktlinsen erlernen.
  • Myopie-Brillengläser: Die jüngste und non-invasivste Methode. Die Gläser funktionieren wie oben beschrieben. Es gibt nach kurzer Gewöhnung eine hohe Verträglichkeit. Die Gläser sind umfassend im asiatischen Raum erforscht, momentan fehlt es leider noch an veröffentlichter Langzeitforschung für europäische Kinder.

Wohin geht der Weg?

Konkrete Entwicklungen vorauszusagen, ist mir leider nicht möglich. Aber wenn ich mir etwas wünschen könnte, dann wäre es:

  • dass kein Kind mehr durchs Raster fällt und frühzeitig erkannt wird, falls Sehfunktionen gestört sind. Das ließe sich mit deutschlandweiten Kita- Screenings oder mit einer Optimierung der U-Untersuchungen realisieren.
  • dass gesetzliche Krankenkassen die Brillengläser für Kinder vollständig übernehmen, vor allem auch die preisintensiven Myopie-Gläser. So wäre die Versorgung endlich wieder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

Was hat dich dazu bewegt, eine Ausbildung zur Kinder-Optometristin zu machen?

Man macht nicht wirklich eine gesonderte Ausbildung. Es ist eher eine persönlich gewählte Spezialisierung, die man durch Kurse in der Uni oder durch Angebote diverser Berufsverbände und Gruppierungen erlangen kann.

Ich arbeite einfach unheimlich gern mit Kindern. Kinder sind weniger verkopft als Erwachsene. Ihre Antworten und Reaktionen sind spontan, direkt und unmittelbar. Sie sind impulsiv und können sich schnell entscheiden. Jedes richtig erkannte Symbol im Sehtest ist ein Triumph und wird auch so gefeiert.

Ein Koffer voller Brillengläser // HIMBEER
© Su Ikes

Noch dazu sind sie mutig bei des Auswahl ihrer Brille – der ganze Prozess ist für sie ein kleines Abenteuer – vor allem beim ersten Besuch im Laden ist alles wahnsinnig faszinierend: die Brillen, unsere Messinstrumente und das Werkstatt-Equipment.

Außerdem gibt es eine riesige Versorgungslücke, die ich mit meinen Fähigkeiten zu schließen versuche. Auf einen Augenärzt:innentermin warten gesetzlich versicherte Eltern Monate lang, die U-Untersuchungen decken häufig zu wenig ab. Jeder gemachte Sehtest ist ein wichtiger Schritt dem entgegen zu wirken. Jede angefertigte Brille oder angepasste Kontaktlinsen sind Meilensteine für das Kind und seine Entwicklung.

Eine tolle Brille ist schnell gefunden // HIMBEER
© Su Ikes

Sobald ein Kind (wieder) gut sieht, entwickelt es mehr Selbstbewusstsein, macht Fortschritte in der Motorik und in Bewegungsabläufen und gewinnt an Sicher- heit in der Interaktion mit seiner Umwelt. Bücher werden auf einmal intensiv angeschaut oder sich in der Klasse wieder gemeldet.

Die erste Brille bedeutet für ein Kind sicherlich viel Aufregung. Was sollte unbedingt beachtet werden?

Bei Babys und Kleinstkleinkindern: Die Brille muss passen, leicht und robust sein. Bei Kindern, die sprechen und entscheiden können, ist meine oberste Regel: Das Kind wird die Brille tragen, das Kind entscheidet, welche Fassung ihr:ihm gefällt – auch mal gegen den Willen der Eltern.

Strahlende Kinderaugen mit Brille // HIMBEER
© Su Ikes

Aber meist lassen sich ganz einfach Kompromisse finden. Wenn Eltern sehen, wie ihr Kind aus der leuchtend bunten Brille herausstrahlt, gibt es meist wenig Diskussion.

Wie gehst du mit Kindern um, die keine große Lust auf eine Brille haben?

Das ist auch wieder eine Frage des Alters. Bei Babys hilft eine gut angepasste Brille, gegebenenfalls auch mit Brillenband. Für Klein-, Vorschul- und Schulkinder lassen sich Motivationen finden: Brille tragen und Lieblingsspiel spielen oder alle in der Familie tragen so viel wie möglich Brille oder Sonnenbrille, damit sich das Kind nicht in seiner Rolle als Brillenträger:in allein fühlt.

Kinderbücher zum Thema Brille // HIMBEER
Brille gut, alles gut. © Petites Lunettes

Außerdem haben wir tolle Bücher zum Thema „erste Brille“, die die Eltern ausleihen können, um das Thema ihrem Brille tragenden Kind im Kreise der Familie und in vertrauen Umgebung, näher zu bringen. Bei Teenager:innen oder größeren Schulkindern kann man natürlich auch über Kontaktlinsen nachdenken und so auf die Wünsche der Heranwachsenden eingehen.

Warum war es Zeit, Petites Lunettes zu eröffnen?

Es ist wirklich toll, dass wir bei Lunettes Selection in der Bleibtreustraße jetzt auch ein Souterrain für Kinder haben. Bisher gibt es in ganz Berlin keinen vergleichbaren Ort, der medizinisches und technisches Wissen, Erfahrung mit Kleinkindern, Babys und Kindern und ein Wohlgefühl beim Brillenkauf verbindet. Aber genau das ist es, was Kinder und auch deren Eltern brauchen.

Wendeltreppe bei Petites Lunettes // HIMBEER
Große Auswahl an Brillen … © Petites Lunettes

Der kleine Raum lädt zum Entdecken und Probieren von Brillen ein. Neben den übersichtlich präsentierten Produkten sind modulare Polster zum Interagieren da. Der Brillenkauf wird so vom häufig als anstrengenden Einkaufsgefühl befreit – spielerisch soll der Entscheidungsprozess, die perfekte Brille zu finden, im besten Fall ganz nebenbei geschehen.

Aber am meisten lieben unsere kleinen Kund:innen die Wendeltreppe und die Giraffe, genannt Zoe Lunetti, am Ende des Raumes.

Welche neuen Erfahrungen konntest du hier bereits machen?

Fast täglich rufen Eltern an und erkunden sich nach unseren Einschätzungen, suchen Rat per E-Mail, wollen Hintergründe verstehen oder möchten einen Termin zur Anprobe von Brillen machen. Wir bekommen sehr viel positives Feedback auf den neu gestalteten Raum, unsere besondere Brillenauswahl aus neuen und Vintage-Modellen und unsere emphatische und kindgerechte Beratung.

Lunettes Selection, Bleibtreustr. 29/30, 10115 Berlin-Charlottenburg, lunettes-selection.de 

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