© Sebastian Schulke

Platz für Träume

Brachflächen in der Stadt, alte Schiffe, Container oder zerfallene und längst vergessene Kioske – für Daniel und Julian Hahn sind das genau die Orte, mit denen sie sich am liebsten befassen. Denn die Brüder haben es sich zur Aufgabe gemacht, Räume für Kleinkunst zu schaffen, die es in München nur noch selten gibt. Dort lassen die beiden Orte entstehen, die für Künstler und Kreative frei nutzbar sind und vor allem Familien mit Kindern viel Freude bereiten sollen.

Daniel und Julian Hahn, wie wichtig ist für euch Spielraum?

Daniel: Spielraum ist immer wichtig. Nicht nur für Kinder. Auch für die Hahn-Brüder.

Julian: Uns ziehen brachliegende, ungenutzte Räume an. Diese wollen wir allerdings nicht wie Immobilien-spekulanten mit Wohnungen zupflastern, sondern frei nutzbar und bespielbar für Künstler, Kulturschaffende, Kinder und deren Familien machen – für die Menschen der Großstadt.

Daniel: Die Großstädte verändern sich immer mehr, werden in Zukunft über immer weniger Platz verfügen. Außerdem spielt Geld eine immer größere Rolle, besonders in München. Doch davon lassen wir uns nicht abschrecken. Wir wollen etwas erschaffen, wo sich Kleinkunst entfalten kann – und vor allem Gehör findet.

Hört sich sehr idealistisch an. Fast wie ein Traum?

Julian: Ein Traum, der immer wieder wahr wird. Der Münchens Hochkultur mit all ihren Opernhäusern, Theatern und der Philharmonie neues Leben, mehr Vielfalt und Subkultur einhauchen soll. Denn unsere Projekte sind keine Egotrips. Sie stehen jedem offen und sollen Spaß machen. Wie das „Gans am Wasser“, das Kulturfestival im Kreativquartier am Leonrodplatz, der „Bahnwärter Thiel“ und der “Märchenbazar” im Schlachthofviertel oder die “MS Utting”, ein altes Schiff, das nicht mehr durch den Ammersee tuckert, sondern auf einer Eisenbahnbrücke in Sendling thront.

Daniel: Auf der “MS Utting” wollten wir schon im vergangenen Jahr mit Kulturprogramm und gutem Essen starten. Doch das Ganze ist sehr komplex und kompliziert, was die Auflagen der Stadt, aber auch die Arbeiten im und am Schiff angeht In München sind leider nicht nur freie Räume Mangelware, sondern auch Handwerker. Im Sommer müsste es aber fertig sein.

Julian: Wir legen auch sehr oft und gerne selbst Hand an. Zusammen mit Freunden, aber auch freiwilligen Helfern, die unsere Projekte unterstützen wollen. Nachhaltigkeit und bewusster Konsum sind uns sehr wichtig. Bei „Gans am Wasser“, das ich zusammen mit Florian Jund mache, sind wir beispielsweise gerade dabei, den Eingangsbereich neu zu gestalten. Da basteln wir an vier Meter hohen Blumen mit Stengeln aus geschwungenen Eisenrohren und selbstgenähten Stoffblüten. Wir probieren uns einfach aus, setzen unsere Ideen um. Ab und zu ist dann natürlich auch fachmännische Hilfe nötig, wenn es um Stromanschlüsse oder dergleichen geht.

Die Brüder Hahn haben also auch Soloprojekte laufen?

Julian: Daniel und ich treten nicht immer im Doppelpack auf. Wir unterstützen uns natürlich gegenseitig, aber jeder hat auch seine eigenen Ideen, Projekte und Räume.

Daniel: Mit „Wannda“ fing alles an, im Jahr 2012. Wannda steht für: Wenn nicht jetzt, Wannda‘ nn! Ein Verein, der neben vielen Freiwilligen vor allem von Jakob Ritzenhoff, Fabian Elbert, Emine Capartas, Julian und mir getragen wird. Wir kennen uns alle aus der Schule. Unser Ziel war und ist: Platz für Träume, Kunst und Kultur zu schaffen und dadurch den Menschen ihre eigenen Leidenschaften näher zu bringen.

Mit dem „Wannda Circus“ wolltet ihr damals brache Flächen in der Stadt bespielen.

Daniel: Das war die Ursprungsidee.

Julian: Ich fand das anfangs gar nicht so toll, wenn mein Bruder plötzlich wieder irgendwo Hilfe brauchte, und ich bei Regen oder Schnee irgendein Klohaus oder Zelt abbauen musste.

Jetzt sind aus dem Wannda Circus viele, kleine, schöne und feste Orte geworden, die ihr mit Konzerten, Partys, Lesungen, Workshops, Festivals oder Kunstausstellungen belebt. Nur für Erwachsene?

Daniel: Auf keinen Fall. Familie ist uns sehr wichtig. Wie bei unserem Kulturfestival jetzt im Mai im Kreativquartier beim Leonrodplatz. Aber auch sonst laufen bei uns Kasperletheater-Aufführungen, Märchenstunden, Bastelaktionen oder der sogenannte Erfindergarten – da können die Kinder ihrer Fantasie freien Lauf lassen und erfinderisch sein, können mit verschiedenen Materialien bauen und basteln.

Leider sind eure Projekte nur Zwischennutzungen und laufen nur über zwei, drei Jahre.

Julian: Das ist ein großes Dilemma. Wenn wir viel Zeit, Liebe und Leidenschaft in eine Idee gesteckt haben, und das Ganze nach einer gewissen Zeit wieder abgebaut werden muss.

Daniel: Da würden wir uns mehr Sicherheit und Beständigkeit wünschen. Gerade dann, wenn ein bespielter Raum gut ankommt und ein Stadtviertel belebt. Zwischennutzungen sind jedoch recht komplexe Sachverhalte. Da sind wir froh, dass uns die Bezirksausschüsse und auch die Stadt in vielen Bereichen sehr unterstützen.

Julian: Die Platzsuche, Anträge und Genehmigungen nehmen sehr viel Zeit und Energie in Anspruch, die wir viel lieber in Inhaltliches stecken würden.

Wie finanziert ihr eure Projekte?

Julian: Wir sind nicht von Fördergeldern abhängig, sondern finanzieren unsere Projekte komplett selbst – meist über die Gastro wie bei „Gans am Wasser“ oder dem „Bahnwärter Thiel“. Unser Kulturprogramm ist überwiegend eintrittsfrei. Dazu kommen vereinzelte Sachspenden und vor allem Freiwillige, die unsere Projekte mögen und tatkräftig mit anpacken. Im Westpark haben uns Anwohner alte Badewannen, Holzpaletten und Sofas vorbei gebracht. Daraus haben wir Sitzgelegenheiten und Tische gebaut. Dafür möchten wir uns hier bei jedem Einzelnen nochmal herzlich bedanken.

Gibt es bei all dem urbanen Freiraum, den ihr sucht, findet und schließlich bespielt, auch noch so etwas wie Freizeit für euch?

Julian: Arbeit und Freizeit vermischen sich bei uns sehr gut. Es kommt nie Langeweile auf. Immer wieder schießen uns neue Ideen durch den Kopf. Diese dann in die Realität umzusetzen, ist sehr spannend. Wie jetzt, bei unserem neusten Projekt, einem alten Kiosk in Giesing mit kleinem Garten an einer Bahnbrücke. Daraus soll auch bald ein Ort der Kleinkunst und Begegnung werden.

Daniel: Das Ganze macht einfach unglaublich viel Spaß. Besonders dann, wenn wir sehen, wie Kinder und Erwachsene unsere Räume nutzen und Freude daran haben.

www.wannda.de, www.bahnwaerterthiel.de, www.gansamwasser.de