Vor einem Jahr setzte die junge Schwedin Greta Thunberg eine weltweite Protestwelle in Gang, die vor allem Schüler bewegt. Vivienne Baltazar Castillo ist ein Teil der “Fridays for Future”-Bewegung und gewährt uns einen Blick hinter die Kulissen in München.
Die ersten Gespräche mit Fraktionen aus dem Münchner Stadtrat sind gut verlaufen. „Sie reden mit uns. Das ist schon mal ein Erfolg“, sagt Vivienne Baltazar Castillo und betont: „Doch geredet wird in der Politik bekanntlich viel. Wir wollen auch Taten sehen.“ Seit vergangenem Februar geht die 21 Jahre alte Medizinstudentin immer freitags auf die Straße. Sie ist Teil der Bewegung „Fridays for Future“ in München. Doch sie läuft nicht einfach nur mit. Im März nahm ein Freund sie ins „Plenum“ mit, das wöchentlich stattfindet. Seitdem kämpft sie aktiv und leidenschaftlich für mehr Klimaschutz.
Klare Forderungen für München
An den 31 Forderungen, die der Stadt München im Juli vorgelegt wurden, hat Vivienne tatkräftig mitgearbeitet. Darin fordert „Fridays for Future“ beispielsweise umgehend eine autofreie Zone innerhalb des Altstadtrings. Bis 2025 soll es innerhalb des gesamten Mittleren Rings keine Autos mehr geben. Nur Lieferwagen, Rettungsfahrzeuge und Busse des öffentlichen Nahverkehrs dürfen dann noch über die Asphaltstreifen in der Großstadt rollen. Außerdem sollen städtische Investitionen aus klimaschädlichen Industrien abgezogen werden. Bauherren sollen verpflichtet werden, neue Häuser mit Solaranlagen auszustatten. Bis in spätestens sechs Jahren soll München einwegplastikfrei werden. Stadtteilzentren und der Einzelhandel sollen gestärkt werden. Das verkürzt die Strecken, die zurückgelegt werden müssen, um beispielsweise Einkäufe zu tätigen – macht das Auto überflüssig.
Oder auf dem Oktoberfest sollen mehr Bio-Produkte angeboten werden. Die Forderungen sind sehr konkret und vielseitig. Sie betreffen die Verkehrs- und Energiewende, die Stadtviertel und den Wohnungsmarkt. Ein Rundum-Paket, das das alltägliche Treiben und Leben in München massiv verändern würde. Jeder einzelne Punkt wurde von den jungen Klimaaktivisten erarbeitet, indem sie umfangreiche Recherchen angesetzt und Studien gelesen haben. Am Ende wurde das Schriftstück von „Scientists 4 Future“ überprüft, die aus über 16.000 namhaften Wissenschaftlern bestehen. Sie unterstützen das Übereinkommen von Paris bei der UN-Klimakonferenz 2015 voll und ganz, fordern wie „Fridays for Future“ die Einhaltung des 1,5 Grad Ziels.
Der Weg ist lang
„Natürlich ist es nicht gerade motivierend, wenn man immer wieder hört und sieht, wie auf der Welt der Klimaschutz und das Übereinkommen in Paris mit Füßen getreten werden“, sagt Vivienne. Doch das könne „Fridays for Future“ nicht bremsen. „Wir sind eine sehr große Bewegung, in der Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene weltweit aktiv sind. Wir setzen uns mit sehr viel Potenzial, Ideen und Kraft für eine lebenswerte Welt und Zukunft ein. Das gibt mir immer wieder viel Hoffnung und Mut.“ Seit das Ganze mit Greta Thunberg (16) vor dem Stockholmer Parlament anfing, haben sich Kinder, Schüler und Studenten, Auszubildende und junge Erwachsene in der gesamten Welt Gretas Forderungen angeschlossen. Allein in Deutschland gibt es um die 500 Ortsgruppen – in den Städten und auf dem Land. Tendenz steigend! In München starteten die ersten Schülerproteste im Dezember 2018.
Es tut sich was
„Seitdem hat sich bei uns in München einiges getan“, erzählt Vivienne. „Neben den Demos jeden Freitag, haben wir nun mit den 31 Forderungen auch unsere konkreten Vorstellungen aufs Papier gebracht, die vor allem die Politik zum Handeln bringen soll.“ Zudem hätten sich weitere Bewegungen gegründet – wie die „Scientists 4 Future“ oder die „Parents for Future“. Auch das Zusammenspiel mit dem Münchner Kreisverwaltungsreferat und der Polizei laufe sehr gut.
Leider legen viele Schulen in München den jungen Klimaaktivisten Steine in den Weg, lassen sie nicht zu den Freitag-Demos gehen und drohen mit Verweisen und Nachsitzen. „Natürlich gibt es immer wieder Erwachsene, die in dem Protest nur ein verstecktes Schulschwänzen sehen wollen“, sagt Vivienne. „Doch so langsam sollte jeder Erwachsene merken, dass es sich bei Fridays for Future um eine gesellschaftliche und politische Bewegung handelt. Wir sind eine Bewegung, die durch jeden Einzelnen getragen wird. Wir ziehen alle an einem Strang“, meint die Studentin.
Einfach machen
Neben den Demonstrationen und dem Plenum, in deren Sitzungen auch schon mal über acht Stunden lang diskutiert und basisdemokratisch jeder Schritt abgestimmt wird, gibt es noch AGs, also Arbeitsgemeinschaften. In denen werden Banner und Schilder beschriftet und bemalt, Flyer und Aufkleber gestaltet. Wird die Technik für den Demowagen mit Lautsprechern und Mikrofonen sowie die Einteilung der Ordner vorbereitet. Wer will, kann sich auch um die Routenplanung oder die sozialen Netzwerke und Medien kümmern. Bei den Freitagsdemos wird von den Klimaaktivisten ein alter Feuerwehrwagen an einem Seil gezogen. „Viele Leute sind erstmal irritiert, wenn sie sehen, dass wir das Auto ziehen“, sagt Vivienne. „Wir wollen keine Abgase in den Himmel pusten. Das ist doch wohl klar.“ Durchschnittlich kommen 800 bis 1.000 Demonstranten jeden Freitag zu den Protesten. Die Demos, das Plenum und die AGs stehen jedem offen. Einfach vorbeischauen und mitmachen!
Immer wieder melden sich auch Erwachsene, die ihr Wissen und ihre Erfahrung mit einbringen wollen. „Das ist toll“, meint Vivienne. „Doch wir brauchen keine Mentoren, die uns belehren. Dann verliert das Ganze an Schwung.“ Jede Ortsgruppe bei „Fridays for Future“ arbeite offen, aber auch autark. „Wir bewegen uns auf Augenhöhe, lernen beim gemeinsamen Gestalten“, erklärt Vivienne. Wie zuletzt beim Erarbeiten der 31 Forderungen.
Weitere Infos zu „Fridays for Future“ und den 31 Forderungen sowie der Blog der Klimaschützer: fridaysforfuture.de und facebook.com/pg/fridaysforfuturemuenchen
20.09.2019, weltweiter Fridays-for-Future-Generalstreik.